Mein
Urlaubsziel für diesen Sommer: Teheran. Mit Zug und Bus durch Balkan,
Türkei, Kaukasus und den Iran. Mein Wohnort: Bozen. Und Schöllkrippen.
Ich besitze zwei Wohnsitze, aber nur eine Staatsbürgerschaft, die
Deutsche. Damit ist klar, dass ich mein Visum in Deutschland beantragen
muss. Ist mir eh lieber, bei der Wahl zwischen einer Behörde in Italien
und einer Behörde in Deutschland würde ich mich immer für die Behörde in
Deutschland entscheiden, auch wenn es eine iranische Behörde ist.
Aber
wo in Deutschland? Es gibt eine Botschaft in Berlin und mehrere
Konsulate. Das praktischste wäre natürlich Frankfurt, 54 Kilometer von
meinem angeblichen und dem tatsächlichen Wohnsitz meiner Eltern
entfernt, und auch meine Reisepartnerin wohnt in der Nähe. Auf den 54
Kilometern überquert man aber eine Grenze: die von Bayern nach Hessen.
Weil Schöllkrippen seit dem Reichsdeputationshauptschluss vor gut 200
Jahren in Bayern liegt, ist das Konsulat in München für mich zuständig
und nicht das in Frankfurt. München liegt von meinen beiden Wohnsitzen
jeweils vier Stunden entfernt. Und nach der Auskunft des Konsulats in
Frankfurt gehe ich davon, dass ich persönlich erscheinen muss, um mir
das Visum in den Pass kleben zu lassen. Was einen Tag Urlaub nehmen
bedeutet, weil Samstagsöffnungszeiten in Deutschland ebenso ungewöhnlich
sind wie flexible Arbeitszeiten in Italien.
Mittwoch, 07.06.: Der Online-Visumantrag
Zumindest
den Antrag kann man aber online einreichen. Das erledige ich am 07.06.,
mehr als zwei Monate vor Beginn der Reise. Eine Hoteladresse angegeben,
ein ungefähres Einreisedatum bestimmt, Reisepass und Passbild
hochgeladen und losgeschickt. Voll modern. Dank Trackingcode kann ich
sogar jederzeit den Status meines Visumantrags überprüfen: „Waiting for
verification“ steht da.
Und das 20 Tage lang.
Dienstag, 27.06.: Der Anruf im Konsulat
Nach
zahlreichen vergeblichen Anläufen erreiche ich endlich einen
Mitarbeiter des Konsulats – die telefonische Sprechstunde beträgt
immerhin eine Stunde pro Tag. Per Mail wurde ich vorher darüber
informiert, dass per Mail nicht zu Visumfragen geantwortet wird.
Der
unfassbar unfreundliche Mensch am anderen Ende der Leitung erklärt mir,
dass ich noch lange auf meine Verification warten kann, wenn ich nicht
endlich meinen Pass und den Zahlungsbeleg ins Konsulat schicke.
Pass
und Zahlungsbeleg ins Konsulat schicken? Das hätten sie ja auch mal
vorher sagen können. Oder auf der Website schreiben können. Warum gibt
es einen Online-Antrag, wenn man doch alles per Post schicken muss? Und
überhaupt: Erst bezahlen, dann kriegt man vielleicht ein Visum? Das
Prinzip kommt mir bekannt vor: Das aserbaidschanische Visum, das ich
für meine Reiseroute ebenfalls brauche, musste ich zweimal bezahlen.
Beim ersten Versuch wurde der Antrag nämlich abgelehnt, beim zweiten Mal
dann genehmigt, aber bezahlen musste ich zweimal.
Also
gut, Geld überwiesen. 50 € vielleicht futsch. Kontoauszug ausgedruckt,
elektronischen Antrag nochmal ausgedruckt, Reisepass dazu. Mitsamt
Passfoto und frankiertem Rückumschlag soll ich das nach München
schicken. Der frankierte Rückumschlag muss natürlich an die auf dem
Antrag angegebene Adresse in Deutschland gehen. Also brauche ich
deutsche Briefmarken. Fuck. Außerdem würde ich der italienischen Post
nach den Erfahrungen der letzten zweieinhalb Jahre niemals meinen
Reisepass anvertrauen. Also spontaner Plan: am Samstag nach Mittenwald
fahren. 100 Kilometer Luftlinie, für die die Post vier Tage braucht und
die Bahn dank beschissenem Übergang in Innsbruck vier Stunden.
Samstag, 08.07.: Die Reise nach Mittenwald
Bei
Abfahrt in Bozen um 7:32 Uhr bin ich um 11:35 Uhr in Mittenwald, laut
Internet schließt die Postfiliale im Bahnhof Mittenwald um 12 Uhr. Die
Deutsche Bahn ist nicht Teil der Reisekette, also könnte es sich
pünktlich ausgehen.
Der
beschissene Übergang führt dazu, dass ich in Innsbruck eine Stunde Zeit
habe, ein Passfoto zu machen. In Bozen steht zwar wie in den meisten
italienischen Bahnhöfen ein Passbildautomat, aber der Geldautomat spuckt
nur 50 €-Scheine aus und zum Geldwechseln reicht die Zeit nicht mehr.
Es wird in Innsbruck schon auch einen Passbildautomat am Bahnhof geben.
In
Innsbruck am Bahnhof gibt es keinen Passbildautomat. Was nun?
Hausverstand oder Google? Hausverstand sagt: Ins Kaufhaus Tyrol gehen,
da gibt es entweder einen Passbildautomat oder einen Infocounter, an dem
man fragen kann, wo ein Passbildautomat steht. Google sagt: Am Innrain
41 gibt es einen Fotoautomat. Ist zwar eine ganze Ecke weg, aber ich bin
ja gut zu Fuß.
Hausverstand oder Google? Ich habe mich leider für Google entschieden. |
Am
Innrain 41 gibt es keinen Fotoautomat. Nur eine Galerie und
pensionierte Anrainer, die verdutzt aus dem Fenster schauen, wenn ein
junger Mann im Hinterhof einen Fotoautomat sucht. Zeit für den
Hausverstand: Schnellen Schrittes ins Kaufhaus Tyrol. Da gibt es zwar
auch keinen Fotoautomat, aber einen Infocounter, an dem ich erfrage,
dass es gegenüber in der Rathausgalerie einen Fotoautomat gibt.
Kurz
bevor ich die Suche nach dem Fotoautomat aufgebe, fällt mir auf, dass
ich ja nach wie vor kein Kleingeld habe. Also erstmal einen Cappuccino
To Go für 2,80 €. Damit bin ich jetzt schon bei 52,80 € Kosten für das
Visum. Dank Koffein und dem lokalen Gemüsehändler finde ich schließlich
im Untergeschoss den Fotoautomat. 7 € reinschmeißen, nicht lächeln,
zack, bumm, fertig – 5 Passbilder. Neuer Zwischenstand: 59,80 €.
Alle
5 Passbilder ans Konsulat schicken wäre ja Verschwendung, und sie haben
ja explizit geschrieben „1 Passbild“. Ich will ihnen keine Begründung
mitliefern, meinen Antrag abzulehnen. Also brauche ich eine Schere. Wo
krieg ich jetzt auf die Schnelle eine Schere her? Bei Bipa. Für 9,95 €.
Neuer Zwischenstand: 69,75 € Euro für das Visum. Ich wünsche der
Kassiererin ein schönes Wochenende und eile zurück zum Bahnhof. Zwei
Minuten vor Abfahrt und leicht schwitzend erreiche ich den Zug nach
Mittenwald. Während der Fahrt schneide ich mein Passbild aus.
Ich
komme pünktlich in Mittenwald an, betrete das Bahnhofsgebäude – und
sehe einen Passbildautomaten. Hier hätte es nur sechs Euro gekostet. Und
wäre 58 Minuten schneller gegangen.
Leicht zu finden: Passbildautomat in Mittenwald. |
Deutsche
Post in Mittenwald: Kurze Wartezeit, freundliche und kompetente
Angestellte – wenn ich die Zeit im Zug als Qualitätszeit (wann hat man
schonmal Zeit zum Lesen?) verbuche, dann ist es effizienter und
angenehmer, ins Postamt nach Mittenwald zu fahren, als Ewigkeiten im
Bozener Postamt in der Schlange rumzustehen, bis man endlich von einer
unfähigen Beamtin bedient wird.
Super Service: Deutsche Post in Mittenwald |
Ich
bestehe darauf, genau die Umschlaggröße zu verwenden, die das Konsulat
empfiehlt, koste es, was es wolle, stecke sämtliche geforderten
Unterlagen samt dem teuer erkauften und erschnittenen Passbild in das
Kuvert. Zack, bumm, fertig – abgeschickt. 7,60 € kostet der Spaß. Und
mein Antrag ist auf dem Weg nach München.
Neuer Zwischenstand: 69,75 € |
Ich
hingegen mache mich auf den Weg ins Karwendelgebirge – schließlich muss
ich ja erst am Abend zurück nach Bozen. Wenn ich schonmal hier bin…
kann ich auch 1.400 Höhenmeter, 430 Tunnelmeter und 55 Fotos lang durch
das Karwendelgebirge wandern. Die vielleicht schönste Wanderung, die ich
heuer gemacht habe. Und zu verdanken habe ich sie dem iranischen
Konsulat.
Am Ende einer wunderbaren Wanderung: Mittenwald aus der Vogelperspektive. |
Dienstag, 11.07.: Die Whatsapp aus Schöllkrippen
Ich
checke mal wieder den Status meiner Visum-Anfrage. Unverändert „waiting
for verification“. Quasi gleichzeitig schickt mir meine Mutter eine
Whatsapp: Zuhause ist ein Brief vom iranischen Konsulat angekommen. Sie
schickt mir Fotos. Es ist mein frankierter Rückumschlag. Mein Passbild.
Mein Pass. Mein Zahlungsbeleg. Mein Online-Antrag. Also alles, was ich
ihnen geschickt habe. Zusätzlich noch ein nicht ausgefüllter
Offline-Visumantrag. Visum ist keins dabei.
Ich
überlege kurz, ob ich weinen oder lachen soll. Ich entscheide mich für
lachen. Was soll das? Begleitbrief gibt es keinen. Telefonsprechstunde
gibt es erst wieder morgen von 14 bis 15 Uhr.
Der subtile Hinweis mit dem leeren Formular – ich soll das also ausfüllen? Aber das habe ich doch Online schon alles ausgefüllt? Wofür gibt es denn die Online-Beantragung? Und warum, verdammt nochmal, sagen sie mir das nicht einfach, statt 7,60 € Portogebühren vollständig zunichte zu machen, indem die ganze Scheiß Prozedur mit Umschlag und Rückumschlag jetzt wieder von vorne starten muss? Warum behalten sie den Pass nicht einfach in München und bitten darum, den bereits ausgefüllten Antrag nochmals auszufüllen und nachzureichen? Was soll der Scheiß? Haben sie sich durch den USA-Stempel in meinem Pass provoziert gefühlt? Oder durch den Poststempel aus Mittenwald, wo vielleicht mal amerikanische Gebirgsjäger stationiert waren? Meine positive Grundhaltung gegenüber dem Iran (die ich mir trotz deutschem Medienkonsum bislang erhalten konnte) schwindet. Ich versteh es einfach nicht.
Zwischenzeitlich hat sich übrigens nach erneuter Nachfrage endlich das Hotel in Teheran mal gemeldet, das ich im ersten Visumantrag angegeben hatte und wo ich unter Angabe meiner Kreditkartennummer zwei Zimmer gebucht hatte.
Das Hotel gibt es seit sechs Monaten nicht mehr.
Mittwoch, 12. Juli: Die italienische Post
Ich
finde den blöden Antrag, der unausgefüllt in Schöllkrippen liegt, auf
der Botschafts-Website. Aber ich muss ihn selber ausfüllen und vor allem
unterschreiben. Und danach aus Bozen nach Schöllkrippen schicken.
Hätten sie doch einfach den Pass in München behalten… Sei es drum: Ich
begebe mich zur Post, verschwende dort meine Zeit und gebe 2,70 € dafür
aus, dass das Formular möglichst schnell nach Schöllkrippen gelangt.
Am nächsten Tag ist es noch nicht da. Nach zwei Tagen auch nicht. Nach drei Tagen auch nicht. Nach einer Woche auch nicht.
Mittwoch, 19. Juli: Manuels Absage
Manuel
kriegt kein Visum für den Iran. Begründung: Keine. Nach einem Telefonat
mit der Botschaft ist er so schlau als wie zuvor und gibt die Hoffnung
auf, dass er mit uns in den Iran fahren kann. Er kann also nur bis
Aserbaidschan mitkommen. Für seine Freundin wird die Reise ebenfalls in
Baku zu Ende sein.
Von
vier kleinen Jägermeistern bleiben nur noch zwei, die theoretisch in
den Iran einreisen können. Falls mein Antrag irgendwann in Deutschland
ankommt.
Donnerstag, 20. Juli: Die Statusänderung
Auch
nach 8 Tagen ist der Brief noch nicht in Schöllkrippen angekommen. Ich
telefoniere mit meiner Mutter und gehe verschiedene Optionen durch. Dass
mein Vater meine Unterschrift fälscht ist keine.
Immerhin:
Mein Visum-Status ist mittlerweile accepted. Das iranische
Innenministerium wäre also damit einverstanden, dass ich ihr Land
bereise. Jetzt hängt es irgendwann am Konsulat in München. Aber vorerst
an der italienischen Post.
Ich
überlege mir einen Plan B: Eine erneute Reise zu einem deutschen
Briefkasten. Das mit der italienischen Post scheint ja nichts zu werden.
Ich könnte nächstes Wochenende in München eine Freundin treffen.
Und von München den Brief, den ich in Bozen 11 Tage vorher verschickt
hatte, erneut verschicken. Damit der Inhalt von Schöllkrippen zurück
nach München, von dort samt Pass wieder nach Schöllkrippen und von dort
samt Reisepartnerin wieder nach München gelangen kann.
Deutschland
diskutiert gerade darüber, eine Einreisewarnung für die Türkei zu
verhängen. Sicher, demokratisch ist die Türkei schon lange nicht mehr.
Aber sie ist nicht unser größtes Problem vor der anstehenden Reise…
Sonntag, 23. Juli: Die Reise nach München
Die
Reisekosten nach München fließen nicht in die Kostenrechnung mit ein,
ich wäre eh hingefahren. Aber die 1,45 € für die Briefmarke, die mir
Svenja aus Karlsruhe mitgebracht hat, schon. Ausgefülltes
Antragsformular ins Kuvert, Briefmarke drauf, Brief in den deutschen
Briefkasten. Direkt ins Konsulat bringen bringt ja nichts, weil die
Schlaumeier meinen Pass ja nach Schöllkrippen geschickt haben. Würde ich
Pass und Antrag getrennt an sie schicken, würden sie das, was zuerst
kommt, bestimmt gleich wieder zurückschicken. Deshalb der Postweg von
München über Schöllkrippen nach München. Damit befinden sich nun zwei
identische Briefkuverts mit identischem Inhalt auf dem Weg nach
Schöllkrippen. Eines mit deutscher Briefmarke, eines mit italienischer.
Welches wohl (zuerst) ankommen wird?
Mittwoch, 26.07.: Zwei Anträge in Schöllkrippen
Die
Post ist da! Der Brief aus München hat Schöllkrippen erreicht. Und der
aus Bozen auch. Beide am selben Tag. Drei Tage nach dem Einwurf in
München, 14 Tage nach dem Versand in Bozen. Die italienische Post ist
einfach nur zum Kotzen.
Die
ganze Mühe mit dem erneuten Versand aus München war also völlig
umsonst. Aber egal: Jetzt zählt jeder Tag, die Zeit drängt! Also bitte
ich meinen Vater, noch heute das nun hoffentlich endgültig vollständige
Kuvert samt frankiertem Rückumschlag bei der Post aufzugeben.
Leider
ist heute Mittwoch. Der einzige Nachmittag in der Woche, an dem die
Post-Dienststelle in Schöllkrippen geschlossen ist. Zum Glück gibt es 3
Kilometer weiter Krombach. Ein furchtbar langes, furchtbar langweiliges
Straßendorf. Aber mit einer Post-Annahmestelle, die auch am
Mittwochnachmittag Post annimmt. Auf geht’s. Es bleiben noch gut zwei
Wochen, um meinen Pass von Schöllkrippen nach München, mit eingeklebtem
Visum wieder von München nach Schöllkrippen und schließlich wieder
zurück nach München zu bringen, wo ich die Reise am 11. August beginne.
Es bleibt spannend. Wenn alles gut geht, steht der Reise nichts mehr im
Weg. Wenn’s schiefgeht, hab ich gar keinen Pass und komme nicht mal nach
Kroatien.
Dienstag, 1. August: Da ist das Ding!!!
Mir
fällt vor Freude ein Steinbruch vom Herzen: Das Visum ist in
Schöllkrippen angekommen. Und das, obwohl auf dem Rückumschlag eine
Martin-Luther-Postkarte klebt. Lang lebe die islamische Republik! In 10
Tagen kann die Reise starten.
Gesamtkosten:
50 € Visum
7,60 € (Mittenwald) + 7,60 € (Krombach) + 2,70 € (Bozen) + 1,45 € (Karlsruhe/München) = 19,35 € Portokosten
7 € Passbilder
2,80 € Cappuccino in Innsbruck
9,95 € Nagelschere
21,60 € Ticket Innsbruck – Mittenwald und zurück
22,48 € Ticket Bozen – Innsbruck und zurück
Insgesamt: 133,18 €
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