Montag, 21. August 2017

Abendgespräch am imaginären Kaukasus-Stammtisch (Mestia)

Ich wäre furchtbar gerne dabei, wenn sich heute Abend am Stammtisch die Forstarbeiter, der Kellner aus dem Café Laila und der Taxifahrer zusammensetzen und den Tag rekapitulieren. Alle werden sie sich über diese vier seltsamen Deutschen unterhalten, die seit gestern Abend in Mestia sind. Die um kurz vor Mitternacht noch beim Abendessen sitzen, aber sich um 5:30 Uhr schon für die Sonnenaufgangswanderung rüsten. Bei der sie den angestrebten Aufstiegspfad aber nie finden und stattdessen über irgendwelche aufgelassenen Pfade auf aufgelassenen Terrassenfeldern stolpern und Holzlatten aus alten Zäunen ziehen, damit sie diese queren können.






Der Kellner aus dem Café Laila wird am Stammtisch berichten, dass die Deutschen heute Mittag schon wieder bei ihm waren, und dass sie schon wieder viel zu viel Essen bestellt hatten, dass sie dann wieder eingepackt haben wollten.

Der Taxifahrer wird berichten, dass sich die Deutschen nach dem Mittagessen nach Heshkili fahren lassen wollten. Dass er ihnen einen Fantasiepreis abgeknöpft hat und die Deutschen irgendwie trotzdem zufrieden schienen, weil sie ihn auf die Hälfte des ursprünglich geforderten Fantasiepreises runterhandeln konnten. Und dass er ja keine Ahnung hatte, dass die Straße nach Heshkili nicht asphaltiert und für seinen schwach motorisierten Frontantriebler überhaupt nicht geeignet ist. Weswegen er mitten auf der abenteuerlichen Strecke stehengeblieben ist und erstmal einen Kumpel angerufen hat, der ihm die Wegbeschreibung der Deutschen bestätigen konnte.




Die Forstarbeiter werden belustigt berichten, wie sie die vier Deutschen, die querfeldein durch den Wald gestolpert sind, in die falsche Richtung gelotst haben und diese über Steilhänge, Disteln und lose Bäume nach Mestia absteigen mussten, wobei sie noch fast von einem Bagger mit Steinen erschlagen und von einem Uralt-Lkw überfahren worden seien.






An dieser Stelle wird sich der Pick-Up-Besitzer vom Nebentisch ins Gespräch einbringen und berichten, dass ihn die vier Deutschen – mittlerweile übersät von Schlamm und Distelstichen – danach auch nach dem Weg nach Mestia gefragt hätten. Er habe daraufhin seinen alten Zaubertrick angewendet und gleichzeitig nach links, nach rechts und geradeaus gezeigt. Woraufhin sich die Deutschen tatsächlich schon wieder verlaufen hätten und in einem Klosterhof gelandet seien.

Die Frage, warum die vier Deutschen überhaupt querfeldein durch den steilen Wald abgestiegen sind, kann der vierjährige Junge beantworten, der ebenfalls mit am Stammtisch sitzt: „Als ich die Wanderkarten der Umgebung gezeichnet habe, konnte ich ja nicht ahnen, dass wirklich irgendwann mal jemand kommt und meine Zeichnung als Wanderkarte nutzen will. Ich hab da einfach willkürlich irgendwelche schönen bunten Linien eingetragen, ich weiß ja auch nicht, wo es wirklich Wege gibt!“

Nein, wir sitzen leider nicht an diesen imaginären Kaukasus-Stammtisch. Aber wir würden dem Zeichner der Wanderkarte gerne mal so richtig eine in die Fresse hauen. Und den Taxifahrer fragen, ob er und sein armes Auto die Fahrt zurück nach Mestia gut überstanden haben. Aber auch ohne Stammtisch war es ein großartiger Tag. Mit Blicken auf mehrere Fünftausender und unzählige Gletscher, mit vielen Sonnenstunden und noch mehr Wanderkilometern, mit abwechslungsreicher Flora und Fauna (Laubbäume auf 2.400 Metern Höhe! Kühe mitten im Wald! Große Greifvögel und kleine Schmetterlinge), mit hohem Spaß- und noch höherem Abenteuerfaktor. Und mit so großer Erschöpfung am Ende, dass ich meinen Plan aufgegeben habe, morgen zu Sonnenaufgang doch nochmal den Pfad Richtung Gipfelkreuz zu suchen.















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