Freitag, 18. August 2017

Die Ruinen von Ani

5 Kühe, 1 Pferd, 2 Maultiere, ca. 20 Gänse: Das sind die Gründe, warum der Busfahrer abbremsen musste. Wenn gerade kein Tier auf der vierspurigen, quasi verkehrsfreien Straße herumstand, ist er konsequent unter Ausnutzung der gesamten Straßenbreite mit ≥ 100 km/h von Kars bis nach Ani durchgebrettert.

Die 45 Kilometer lange Fahrt ging somit deutlich schneller voran als die Suche nach dem Bus. Laut Lonely Planet von 2010 gibt es gar keinen Linienbus nach Ani. Laut unserem Hotel-Rezeptionisten gibt es ihn. Aber die Suche nach der angeblichen Abfahrtsstelle ist nicht so einfach. Und jeder, den man fragt, deutet in eine andere Richtung. Die Fahrer der Stadtbusse schütteln nur mit den Köpfen, wenn wir sie nach Ani fragen. Wir entscheiden uns für Plan B und gehen dorthin, wo laut MapsMe ein Busbahnhof ist. Irgendwo zwischen zahlreichen mehr oder weniger formellen Verkaufseinrichtungen finden wir tatsächlich einen kleinen Busbahnhof. Wow, ohne die Karte wären wir nie auf die Idee gekommen, dass mitten in diesem verrückten Viertel ein Busbahnhof versteckt ist. Einziges Problem: Keiner der Busse fährt nach Ani. Und wie schon seit Tagen spricht niemand Englisch oder gar Deutsch. Längere Diskussionen zwischen verschiedenen Busfahrern und sonstigen Busbahnhof-Angehörigen, immer wieder fällt das Wort „Taksi“. Das wäre Plan C. Einer der Busfahrer bittet uns schließlich, ihm zu folgen. Während er telefoniert, um Informationen zu Busverbindungen nach Ani in Erfahrung zu bringen, folgen wir ihm durch halb Kars. Wir kommen sogar wieder an unserem Hotel vorbei. Und landen schließlich an einem neu eröffneten Museum. Dort diskutiert der Busfahrer mit den Angestellten, wir werden via Google Translate-App ins Gespräch eingebunden. Ergebnis: Heute gibt es leider keinen Bus mehr nach Ani, erst morgen wieder. Aber wir sollen doch bitte unbedingt das Museum anschauen.

Na toll. Also doch Taxi? Nein – es kommt nämlich auf einmal die Meldung rein, dass um 13 Uhr ein Bus nach Ani fahren wird. Der direkt vor der Tür fährt – wo freilich von einer Bushaltestelle nichts zu sehen ist. Sie empfehlen uns, schon um 12:30h da zu sein – das ist in zwei Stunden. Wir suchen den Bus also schon seit eineinhalb Stunden. Skeptisch, ob es den Bus wirklich geben wird, entscheiden wir, die zwei Stunden für eine Wanderung auf die Zitadelle von Kars zu nutzen – wie sich herausstellen soll eine hervorragende Entscheidung! Die Festungsanlage selbst, vor allem aber auch der Blick von oben auf das mitten in die Steppe gepflanzte Kars lohnen den (es sind immer noch etwa 30 Grad, obwohl wir uns auf 1750 Metern Höhe befinden!) schweißtreibenden Aufstieg. Was im Lonely Planet von 2010 als Ruine beschrieben wird, ist mittlerweile größtenteils wieder aufgebaut, zumindest die Moscheen bzw. in Moscheen umgewandelte ehemalige Kirchen präsentieren sich in einem hervorragenden Zustand. Ansonsten bringt der Lonely Planet Kars wunderbar auf den Punkt: Anfangs fragt man sich (zumal bei Regen, wie es uns ja gestern Abend auch passiert ist), wo um Himmels Willen man hier gelandet ist. Aber je länger man hier ist, desto besser gefallen einem die Stadt und ihr besonderes Flair. Stimmt absolut!

Und was auch stimmt: Um 13 Uhr fährt tatsächlich ein Bus nach Ani. Pünktlich! Und günstig. Keine Touristenabzocke. Nach der oben beschriebenen flotten Fahrt erreichen wir Ani und kaufen für umgerechnet 2 € ein Eintrittsticket für die dortigen Ruinen. Die sind echt beeindruckend: Einst eine 100.000-Einwohner-Hauptstadt, die angeblich so bedeutend war wie Konstantinopel, fiel sie Mongolen, Erdbeben und weiteren Katastrophen zum Opfer. Heute findet man in Ani Reste von 1.000 Jahre alten Kirchen und Kathedralen – teilweise steht nur noch eine halbe Kirche, teilweise ist die Kuppel eingestürzt, teilweise sind sie fast vollständig erhalten. Diese uralten Kirchenhäuser stehen einfach so in der Landschaft herum. Umgeben von einer dicken Mauer an einer Seite und tiefen Canyons an den anderen drei Seiten. Muss man gesehen haben!

Womit ich die Beschreibung unseres Kars-Aufenthaltes beende. Es gäbe zwar noch Berichtenswertes, z. B. die Frau, die uns mit ihrer (deutschsprachigen!) Warnung, sie habe in einem Buch gelesen, wie gefährlich die wilden Hunde in Kars seine, fast davon abgebracht hätte, bei Sonnenuntergang auf den Hügel neben der Zitadelle zu wandern, der direkt hinter ihrem Haus liegt, auf dem sie aber noch nie oben war. Oder die alten Holzbalkon-Häuser, die so wie das quadratische Straßenraster offensichtlich aus der russischen Besatzungszeit stammen. Oder das viele Militär. Oder die supernetten Bewohner, die alle Beträge, die wir zahlen müssen, grundsätzlich nach unten abrunden. Oder die bettelnden Kinder, die uns verzweifelt Waagen verkaufen wollen. Oder der Gewittersturm, der mir den Sand in die Augen getrieben hat. Oder das leckere Essen. Aber da würde ich zwangsläufig zum Thema Durchfall kommen. Und das will ich den Lesern lieber ersparen. So wie es mir ab morgen hoffentlich auch wieder erspart bleiben wird.


die alten Holzbalkon-Häuser, die so wie das quadratische Straßenraster offensichtlich aus der russischen Besatzungszeit stammen

in Moscheen umgewandelte ehemalige Kirchen präsentieren sich in einem hervorragenden Zustand
Blick von oben auf das mitten in die Steppe gepflanzte Kars

entscheiden wir, die zwei Stunden für eine Wanderung auf die Zitadelle von Kars zu nutzen


5 Kühe, 1 Pferd, 2 Maultiere, ca. 20 Gänse: Das sind die Gründe, warum der Busfahrer abbremsen musste.
ist er konsequent unter Ausnutzung der gesamten Straßenbreite mit ≥ 100 km/h von Kars bis nach Ani durchgebrettert

Diese uralten Kirchenhäuser stehen einfach so in der Landschaft herum.




Muss man gesehen haben!
Umgeben von einer dicken Mauer an einer Seite und tiefen Canyons an den anderen drei Seiten


bei Sonnenuntergang auf den Hügel neben der Zitadelle wandern



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