Donnerstag, 2. November 2017

Jedem Ende wohnt ein Anfang inne

Das hier schaut nur aus wie der Anfang (vom Blog), eigentlich ist es das Ende (der Reise). Ob du den Blog jetzt am unteren Ende anfangen oder die Reise rückwärts lesen willst, ist dir überlassen.

Wenn du stattdessen irgendwas anderes von mir lesen willst, solltest du auf markusbelz.blogspot.com klicken.

Der vollständige Reiseverlauf
Der Reiseschwerpunkt Südkaukasus

Sonntag, 3. September 2017

Finish

War das ein intensiver letzter Urlaubstag: In Teheran dem Taxifahrer den Weg zum Flughafen zeigen; in Athen den Sonnenaufgang fotografieren; in Mailand das Triennale-Museum besichtigen; im Frecciarossa-Businessabteil bei Tempo 300 einen Prosecco trinken. Fehlt nur noch das TV-Duell Merkel gegen Schulz nach der Ankunft in Bozen.

 
 

In etwa einer Stunde wird sich am Bahnhof Bozen nach 24 Tagen der Kreis schließen. Das soll es jetzt also gewesen sein. Vor dem Fenster ziehen die vertrauten Berge des Trentino vorbei. Ich sitze im Regionalexpress von Verona nach Bozen, der 17. und letzte Zug der Reise. Die vorangegangenen Züge hatten insgesamt 263 Minuten Verspätung, im Durchschnitt also 16 Minuten. Der Zug Belgrad-Sofia mit seinen 108 Minuten Verspätung hat die Statistik natürlich deutlich beeinflusst, aber auch so war die Bahn im Durchschnitt pünktlicher als die beiden Flugzeuge heute.

Neben zahlreichen (Klein-)Bussen sind wir in den vergangenen drei Woche mit fünf Schiffen (allesamt in Istanbul), sechs Seilbahnen (in Istanbul, Ankara, Batumi, Bakuriani, Tatev und Tbilisi) und zwei Standseilbahnen (Bakuriani, Baku) gefahren. U-Bahn gefahren bin ich in Istanbul, Ankara, Jerewan, Tbilisi, Baku, Teheran und Mailand; Straßenbahn nur in Istanbul und Mailand. Ich habe in den letzten 24 Tagen (von denen es übrigens an zehn Tagen irgendwann mal geregnet hat) 21 Kaffees, 14 Tees und 11 Biere getrunken. Ich habe sechs Museen und fünf Festungsanlagen besichtigt. Mit fünf Personen haben wir Kontaktdaten ausgetauscht, drei Mal wollte man ein Foto mit uns machen.

Von den 23 Übernachtungen haben wir sieben im Hostel, vier im Hotel, fünf im Guesthouse und eine privat (in Karadsch) verbracht; vier im Zug, eine im Bus und eine am Flughafen bzw. im Flugzeug. Insgesamt haben wir – Griechenland, wo wir warum auch immer den Transitbereich verlassen mussten, mitgerechnet – 13 verschiedene Länder bereist, in denen wir mit neun unterschiedlichen Währungen zahlen und sechs verschiedene Alphabete (lateinisch, kyrillisch, georgisch, armenisch, persisch, griechisch) lesen mussten.


Soweit der zum Scheitern verurteilte Versuch, diese einmalige Reise in Statistiken auszudrücken. Eine quantitative Auswertung ist hier nicht ausreichend. Da braucht es schon auch das Tagebuch und die Fotos. Und noch viel Zeit, bis man da alles verarbeitet haben wird.

Wir haben mit dem Balkan und dem Kaukasus zwei traditionell spannende Weltregionen bereist, die heute wieder genauso von den sie umgebenden Großmächten bzw. Regionalmächten beeinflusst werden, wie das eigentlich schon immer der Fall war. Der Iran übernimmt im Kaukasus die Rolle des einstigen Persischen Reiches; die Europäische Union übernimmt auf dem Balkan die Rolle Österreich-Ungarns; Russisches Zarenreich und Osmanisches Reich, die in beiden Regionen ihren Einfluss ausüb(t)en, bilden sich gerade neu. Der Vergleich Balkan – Kaukasus reizt mich irgendwie. Da werde ich sicher noch mehr zu lesen und vielleicht auch schreiben.

In den letzten Wochen habe ich viel über die Geschichte von Osmanischem Reich, Türkei und Armenien gelesen und gelernt. Habe mich insbesondere in Georgien oft an Russland erinnert gefühlt. War begeistert von der Gastfreundschaft in der Türkei, in Armenien und vor allem im Iran. Habe lecker gegessen und teilweise nicht ganz so lecker getrunken. Habe mich von grandiosen Landschaften begeistern und von engen, rasanten Kleinbussen ärgern lassen. Vor allem habe ich aber einmal mehr zu schätzen gelernt, wie gut es uns auf unserer westeuropäischen Wohlstandsinsel doch geht. Wie schön es doch ist, offene Grenzen, einen funktionierenden Nahverkehr und saubere Draufsitz-Toiletten zu haben. Und was für ein Wunder es doch ist, dass Deutschland so ein gutes Verhältnis zum ehemaligen Kriegsgegner Frankreich und auch zu Israel hat. Das würde man der Türkei und Armenien auch gönnen. Oder Russland und Georgien. Oder Armenien und Aserbaidschan. Die Europäische Union ist schlicht und ergreifend eine beeindruckende Errungenschaft, für die wir dankbar sein sollten und die wir unbedingt erhalten und ausbauen müssen – nicht zuletzt, damit sich Regionen wie der Kaukasus ein Beispiel daran nehmen können.
Mit dieser Feststellung kann ich das Tagebuch eigentlich beenden. Oder, um es mit den Worten der Kellnerin in Mestia zu sagen: „Finish“.

Teheran

Die letzte Nacht des Urlaubs haben wir bislang überwiegend damit verbracht, in Schlangen zu stehen. Erst in der Autoschlange vor dem Flughafenterminal, zu der wir den Taxifahrer dirigieren mussten, nachdem er zweimal eine falsche Ausfahrt genommen hatte; dann, um das Gesamtgepäck scannen zu lassen; dann am Check-In-Schalter; dann an der Passkontrolle; und schließlich nochmal, um erneut das Handgepäck scannen zu lassen. Jetzt sitzen wie vor Gate 23, wo irgendwann demnächst Aegean Airways A3949 nach Athen aufgerufen wird. Zeit, zurückzublicken auf drei wunderschöne Urlaubswochen. Und vor allem auf einen großartigen Tag in Teheran. Frühstück mit „unserer“ iranischen Familie, iranisches Nationalmuseum, Picknick im Park, Großer Basar, Milad Tower, einzigartiges Abendessen im Azari Traditional Teahouse. Wobei die Fahrten zwischen diesen einzelnen Standorten teilweise genauso spannend waren wie die Standorte selbst. Ich weiß jetzt, dass man in Teheran keinen Supermarkt aufsuchen muss, wenn man regelmäßig mit Vorortzug oder U-Bahn fährt – dort werden sämtliche Waren des kurz- und mittelfristigen Bedarfs lautstark angepriesen und im Mittelgang zum Verkauf angeboten. Und ich weiß jetzt, dass der Verkehr in Teheran tatsächlich anders funktioniert als anderswo. Schon im Bachelor-Studium hatten wir uns über Youtube-Videos von verkehrsreichen Kreuzungen in Teheran amüsiert, heute konnte ich vom Taxi-Beifahrersitz aus selbst Videos drehen – und immer mal wieder die Luft anhalten.


Was anfangs anmutet wie das reinste Chaos, hat aber irgendwie System. Es wird oft – sehr oft – mit wenigen Zentimetern Abstand aneinander vorbeigefahren; Kreisverkehre werden nicht umrundet, sondern nach links angeschnitten und dann nach Möglichkeit in der Richtung durchfahren, in die man ihn später verlassen wird; hupen bedeutet „ich fahr da jetzt vorbei“ und führt zu einer sofortigen Lenkradbewegung des Vordermanns (sonst würde es unweigerlich krachen) bzw. der Vorderfrau – ja, es gibt im Iran Frauen, die Auto fahren. So wie es entgegen einer Reiseführer-Behauptung auch Händchenhalten in der Öffentlichkeit gibt. Wer ein rückständiges, islamisches Land erleben will, der muss wohl nach Saudi-Arabien reisen – genau, das Land, gegen das wir Deutsche trotz haarsträubender Menschenrechtsverletzungen keine Sanktionen verhängen, sondern dem wir munter weiter Waffen verkaufen, mit denen es seine Nachbarländer terrorisieren kann.

Stichwort Sanktionen: Sowohl der Vorortzug als auch die U-Bahn, mit der wir gefahren sind, waren chinesische Produktionen. Und schon erkennt man, warum die deutschen Wirtschaftsverbände – Menschenrechtsverletzungen hin oder her – IMMER gegen Sanktionen argumentieren: weil sie sonst ruck-zuck Märkte an die Chinesen verlieren, die ihre (billigeren) Produkte völlig schmerzfrei nach überallhin verkaufen. Warum sollte Teheran seine nächste U-Bahngeneration bei Siemens kaufen, wenn man mit den chinesischen Zügen zufrieden ist?

Ich persönlich halte zumindest „unsere“ Sanktionen gegenüber dem Iran sowieso für einen geopolitisch motivierten Unsinn, unter dem die Zivilbevölkerung unnötigerweise leiden muss.
Aber zurück von der großen Politik in den engen Vorortzug: Da kam während der Fahrt ein schräg gegenüber sitzendes Mädchen mit Maulbeeren in der Hand zu uns und hat uns diese angeboten. Es war der Beginn einer wunderbaren Reisebekanntschaft, an deren Ende es ein schönes Gruppenfoto, getauschte Handynummern, eine Postkarte aus Büdingen für das kleine Mädchen und für uns ein von ihrem Bruder entworfenes Bild des zukünftigen Animations-Filmhelden Ali gab.



Es sollte nicht die letzte nette Begegnung des Tages gewesen sein. Teheran ist voll von netten Begegnungen. Da Soroosh uns alles übersetzen konnte, hatten wir natürlich deutlich mehr davon. Da ist zum Beispiel der Sänger der Band, die während unseres Abendessens traditionelle persische Musik gespielt hat. Wir saßen beim Abendessen direkt hinter (!) der Band auf einem Teppich und es gab immer wieder Gelegenheiten für einen kurzen Smalltalk. Nachdem Soroosh dem Sänger erklärt hatte, dass Arnika und ich aus Deutschland kommen, hat dieser das Publikum um einen Applaus für uns gebeten. Nach dem Konzert kam ein Zuhörer zu uns hinter die Bühne, um seine Dankbarkeit darüber auszudrücken, dass wir aus dem Land von Bach und Mozart bis in den Iran gereist sind, um die hiesige traditionelle Musik zu hören. Erst habe ich mich etwas perplex über die Aussage gefreut, dann fiel mir doch noch ein, dass Mozart ja eigentlich Österreicher ist.



Es gäbe noch so viel mehr zu berichten über den Tag in Teheran. Über die beeindruckend alten Vasen und Statuen im Nationalmuseum; über das endlose Lichtermeer, auf das man vom sechsthöchsten Turm der Welt blickt; über den Polizisten, von dem wir dachten, dass er uns befragen oder uns aufgrund unserer großen Rucksäcke aus dem Basar schmeißen will – der uns aber einfach nur den Weg zu einer besonders schönen Moschee beschrieben und uns einen Besuch dort ans Herz gelegt hat; über die spannenden Gespräche mit Soroosh und seiner Freundin, die uns den Iran besser erklären konnten als jeder Reise- oder Kulturführer. Aber mir fallen die Augen zu, ich muss Schluss machen.

Auch wenn ich morgen früh in Athen aufwache – Teheran wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Was für ein schöner Tag. Danke, Soroosh!



















Samstag, 2. September 2017

Iranische Gastfreundschaft

Die Wallnüsse und das Hühnchen mussten mindestens acht Stunden kochen. Auch Dolmus, also süß gewürztes Hackfleisch und Reis in Weintraubenblätter eingerollt, ist sehr aufwändig. Als Beilage gab es so Kleinigkeiten wie Salate, Safranreis und Yoghurt mit Kräutern. Als Vorspeise leckeres Obst und diverse leckere Süßigkeiten. Und kaum war die Nahrungsaufnahme abgeschlossen, wurde getanzt und gesungen. Tänze aus verschiedenen Landesteilen, wobei wir jeweils mitmachen mussten. Wahnsinn, wie viel Spaß man ohne Alkohol haben kann. Wahnsinn, wie gastfreundlich die Iraner sind. Soroosh und seine Familie haben uns gestern Abend überrascht und begeistert. Er ist Arnikas Nachmieter in Passau und gerade auf Heimaturlaub im Iran. Zum Glück.

Angefangen hat alles schon bei Dunkelheit irgendwo an der dicht befahrenen Autobahn, wo der Bus in eine Haltebucht ausgeschert ist, um uns rauszulassen. Das ist hoffentlich die Stelle, die Soroosh den anderen Mitreisenden telefonisch erklärt hat? Nicht dass wir hier irgendwo vor den Toren der Megacity Teheran neben der Autobahn verenden? Es ist die richtige Stelle: Soroosh und Arnika finden sich, er begleitet uns zum Auto, wo sein Vater schon auf uns wartet und wir fahren gemeinsam in ihre Wohnung. Die ersten Eindrücke von iranischem Stadtverkehr sind – spannend.

In der Tiefgarage angekommen steigen wir aus dem Auto und in den Aufzug. Gleich werden wir eine iranische Wohnung betreten und eine iranische Familie kennenlernen. Nach allem, was man vorher über den Iran gelesen hat, bin ich natürlich ein bisschen befangen und aufgeregt: Man sollte fremden Frauen nicht in die Augen schauen, sie nicht ansprechen und ihnen schon gar nicht die Hand reichen, bevor sie das ihrerseits anbieten. 

Diese wichtigen Regeln habe ich im Hinterkopf, als sich vor mir die Wohnungstür öffnet. Dahinter stehen mehrere junge, hübsche Frauen. Allesamt ohne Kopftuch. Wenige Sekunden später schwirren mir mehrere Namen im Kopf herum und ich habe mehrere weibliche iranische Hände geschüttelt. Alles bestens. Umsonst Sorgen gemacht. Welcome to Iran.

Zumindest ein Klischee wird erfüllt: dass nämlich die Männer auf der Couch sitzen, während die Frauen in der Küche die ganze Arbeit machen müssen. Der endgültige Beweis für das rückständige Frauenbild im Islam? Naja, wie wäre es denn bei unseren Eltern zu Hause bzw. wie war es bei unseren Großeltern? Eben. Die kulturellen Unterschiede verschwimmen im Laufe des Abends, die iranische Familie könnte genauso gut eine europäische Familie sein und würde sich mit unseren Familien vermutlich prächtig verstehen. Im Familien-Weltatlas zeigen wir, wo wir herkommen und welche Route wir auf unserer Reise gewählt haben. Die Familie amüsiert sich prächtig, als ich – mit dem Finger von rechts nach links die mir unbekannten persischen Buchstaben entlangfahrend – europäische Städtenamen „vorlese“.

Die anfängliche Befürchtung, etwas Falsches zu machen oder zu sagen weicht im Laufe des Abends dem Gefühl, von dieser wunderbaren Familie bereits adoptiert worden zu sein. Ich habe schon in mehreren Reiseländern eine beschämende Gastfreundschaft – beschämend, wenn man bedenkt, wie wir in Deutschland bzw. Südtirol mit Ausländern umgehen – erlebt, einen Abend wie diesen habe ich aber noch nie erlebt. Wir sind mehr als nur beeindruckt.

Die Gastfreundschaft gipfelt darin, dass eine Tochter der Familie im Wohnzimmer auf dem Boden schlafen muss, während wir ihr Zimmer okkupieren dürfen – und darin, dass Soroosh uns samt seiner Freundin den gesamten Folgetag lang durch Teheran begleiten und darauf bestehen wird, alles für uns zu zahlen. Was uns ein sehr schlechtes Gewissen, aber einen großartigen Urlaubs-Abschlusstag bescheren wird.


Freitag, 1. September 2017

Beobachtungen auf einer iranischen Autobahn

Die (mautpflichtige) Autobahn ist schon fertig, die parallel verlaufende Bahnstrecke ist noch in Bau. Zum ersten Mal seit Istanbul gibt es mal wieder ein richtig hohes Verkehrsaufkommen. Zugleich ist der Verkehr deutlich gesitteter als in den Kaukasusländern, auch die Taxis fahren deutlich langsamer. Der Pkw-Fuhrpark ist recht einheitlich und besteht überwiegend aus Peugeots und einem iranischen Einheitsfabrikat – auch hier machen sich die Sanktionen bemerkbar. Die Frauen tragen tatsächlich alle ein Kopftuch – dadurch erkennt man sehr schnell, wie viele Frauen in einem Auto sitzen. Meistens sitzen sie hinten. Die meisten Frauen sind sehr hübsch – eine weitere Parallele zur Türkei. In den Autos sitzen auch sehr viele Kinder, das geringe Durchschnittsalter der iranischen Bevölkerung fällt schon auf der Autobahn auf.

Der relativ dämliche Bollywood-Film beschallt (auf Englisch! Nur die Untertitel sind persisch) den ganzen Bus. Iraner müssen verdammt schnell lesen können, die Filmuntertitel wie auch Werbeschaltungen an Tankstellen wechseln sehr schnell. Die progressive Filmstory (Scheidung und so) und die Tatsache, dass die Schauspierinnen alle unverhüllt sind, hätte man im Iran vielleicht gar nicht erwartet. Morgen werden wir den Hauptdarsteller übrigens auf einem Werbeplakat wiedererkennen und erfahren, dass der Hauptdarsteller ein berühmter iranischer Schauspieler ist.

Das Kaspische Meer konnte mich nicht überzeugen, die Landschaft wurde erst spannender, als es Richtung Süden ins Gebirge ging.

Wie im Busbahnhof, so auch im Bus: WiFi steht zwar überall drauf, aber es ist nirgends drin.

Im Gegensatz zu Georgien und Armenien gibt es im Bus keine religiösen Symbole.

Mittlerweile hat der halbe Bus die Pflegeschaft für uns übernommen und setzt sich dafür ein, dass wir an der richtigen Stelle rausgelassen werden. Wir haben seit dem Grenzübertritt nach wie vor noch keinen anderen Touristen gesehen und müssen uns an unsere Rolle als Attraktion erst noch gewöhnen.




Endlich wieder in einem fortschrittlichen Land (Iran)

Ein richtiger Bus! Ein großer, langer Bus mit bequemen Sitzen und Klimatisierung. Und WIE bequem diese Sitze sind! Die bequemsten, auf denen ich je gesessen bin. Mit ewig viel Beinabstand. Und dann fährt der Bus auch noch auf einer richtigen Straße, ohne Löcher und ohne Kühe. Richtiger Bus und richtige Straße, beides hatten wir seit der Türkei nicht mehr. Wahnsinn, endlich wieder ein entwickeltes Land mit bequemen Verkehrsmitteln. Welcome to Iran!


Warum ist es so, dass die Infrastruktur in der Türkei und im Iran so viel besser ausgebaut ist als in den kleineren Ländern dazwischen?

Theorie 1: Der progressive Islam fördert Entwicklung einfach viel mehr als das rückständige Christentum, das sich viel zu lange mit Kreuzzügen und Hexenverbrennungen aufgehalten hat. Dafür spricht, dass die Wirtschaft in der Türkei erst mit dem Regierungsantritt der AKP anfing zu boomen.

Theorie 2: 70 Jahre sowjetischer Sozialismus haben deutlich mehr kaputtgemacht als in den 30 Jahren danach wieder repariert werden konnte, infrastrukturell wie mental. Dafür spricht, dass auch Ostdeutschland und –europa die in den sozialistischen Jahrzehnten entstandene Lücke zum Westen noch nicht wieder schließen konnten.

Theorie 3:
Die Kernländer der ehemaligen Großmächte Osmanisches Reich (Türkei) und Persisches Reich (Iran) sind einfach nach wie vor die beherrschenden Großmächte – wer sich im nationalistischen Taumel unabhängig erklärt hat, hat das darwinistische Prinzip einfach nicht verstanden und ist wirtschaftlich weiterhin von seinem ehemaligen Mutterstaat abhängig. Dafür spricht die sehr gute wirtschaftliche Situation von Österreich inklusive der Dominanz österreichischer Unternehmen auf dem Balkan. Zum Sonderfall Russland siehe Theorie 2.

Nein, das war jetzt natürlich nicht ernst gemeint. Auch wenn vielleicht ein Funke Wahrheit drinsteckt. Ich freue mich auf jeden Fall, dass ich solche unsinnigen Gedanken jetzt endlich wieder während der Fahrt zu Papier bringen kann, weil es endlich wieder gute Busse und Straßen gibt.

Im Busbahnhof von Astara

VIP kann ich lesen. Und Volvo. Alles andere, was hier so auf den Scheiben klebt und blinkt, ist persisch und somit für mich nicht zu entziffern.

Wir sitzen noch immer im Busbahnhof von Astara. Ein Raum von vielleicht 30 auf 10 Metern, mit etwa 10 Menschen. Mit ziemlich hässlichen Bodenfliesen. Und mit sechs verschiedenen Verkaufsräumen. Einer davon verkauft Mineralwasser und Motoröl, die anderen fünf vermutlich Bustickets. So einfach ist es aber nicht, ein Ticket in die Hauptstadt Teheran zu kaufen. Niemand spricht englisch, niemand scheint so richtig motiviert zu sein. Der Erste schickt uns zum Nächsten, der Nächste schickt uns zum Übernächsten. Würden nicht drei echte Busse hinter dem Gebäude stehen – die ersten richtigen Überland-Linienbusse seit der Türkei –, ich würde das Ganze für eine Busbahnhof-Attrappe halten. Einer sagt, dass sein Bus um 12 Uhr nach Teheran startet. Genau derselbe erklärt später, dass sein Bus erst um 19 Uhr fährt. Ein anderer sagt, dass sein Bus um 11 Uhr nach Teheran fährt. Da ist es gerade 10:47 Uhr. Passt doch perfekt! Schnell zwei Tickets kaufen (Markus) und ein bisschen Proviant organisieren (Arnika), dann geht’s los. Arnika – seit der Grenze vorschriftsmäßig unter einem Kopftuch versteckt – muss sich zwar vom Bäcker mit „Heil Hitler!“ begrüßen lassen, kriegt das mit dem Proviantkauf aber hin. Ich das mit dem Ticketkauf nicht. Der unsympathische Fettwanst vom Verkaufsschalter bestimmt, dass ich in der Halle sitzen bleiben soll, er hat anscheinend noch keine Lust auf Fahrkartenverkauf.

Um 11 Uhr fährt dann tatsächlich ein Bus. Was sollen wir machen, einfach ohne Fahrkarte einsteigen? Nein, denn der Bus fährt anscheinend gar nicht nach Teheran Der nächste Bus nach Teheran soll jetzt plötzlich erst um 13 Uhr starten. Aber kann ich dann jetzt wenigstens ein Ticket kaufen? Ich kann, wenn auch ständig unterbrochen von lautstarken Diskussionen und scheinbar willkürlichen Geldscheinübergaben. Der Dickwanst vom Ticketschalter drückt mir irgendeinen komischen Zettel in die Hand. 10 Minuten später kassiert er 700.000 Real, deutlich unter 20 €, von mir. Nach dem Bezahlvorgang druckt und stempelt er verschiedene Zettel, aber keinen davon gibt er mir. Soll doch der Zettel von vorhin schon der Fahrschein sein? Ich habe keine Ahnung, was da draufsteht. Ich frage einen anderen mutmaßlichen Kunden, der scheinbar ein bisschen Englisch kann. Er bestätigt glaube ich, dass das ein Ticket nach Teheran ist und tippt in seine Smartphone-Tastatur „13.30“. Jetzt soll der Bus also erst um 13:30 Uhr fahren? Das wären noch über zwei Stunden. Aber besser als 19 Uhr. Wir beschließen, im Busbahnhof zu bleiben und zu schauen, was passiert. Bislang noch nichts.

Welcome to Iran (Astara)

Der heutige Vormittag war ein rechtes Abenteuer. Nach der bequemen Nachtzugfahrt am Kaspischen Meer entlang – wobei mir unser allzu gesprächiger Abteilgenosse schon ein bisschen auf den Sack ging – haben wir unser letztes aserbaidschanisches Geld dafür ausgegeben, mit dem Taxi zur Grenze zu fahren. So wie alle anderen Zugfahrgäste auch mit einem Taxi zur Grenze gefahren sind. Würde man einfach den Zug drei Kilometer weiterfahren lassen – die Gleise dafür liegen bereit –, wäre wohl das halbe Dorf arbeitslos. So sind die Dorfbewohner alle Taxifahrer. Und ich bin endlich mal mit einem Lada gefahren. Und zwar mit dem schnellsten von allen: Trotz anfangs nicht befestigter Straße, großen Schlaglöchern und dem reifen Alter des Fahrzeugs haben wir alle anderen Taxis überholt und abgeschüttelt.



An der aserbaidschanisch-iranischen Grenze blieb noch genug Fußweg übrig, um ins Schwitzen zu kommen. Es war nämlich auch schon am frühen Morgen extrem heiß. Beide Länder führen ein ganz schönes Theater auf, mit Rucksack scannen (sinnloserweise sowohl bei der Ausreise aus Aserbaidschan als auch direkt danach bei der Einreise in den Iran), Gürtel ausziehen und Visum vorzeigen (auch bei der Ausreise! Trotz Einreisestempel wurde nochmal das Visum kontrolliert, zum Glück hatte ich noch eine ungefähre Ahnung, wo ich den Zettel hingepackt hatte). Im Iran gab es für uns beide dann eine kleine Sonderbehandlung, wo ich all die Fragen, die ich im Visumantrag bereits beantwortet hatte, nochmal beantworten durfte. Und zwar nur ich, die Frau spielt seit dem Grenzübertritt keine Rolle mehr. Der Grenzbeamte hat Beruf, Reiseroute etc. handschriftlich (natürlich von rechts nach links) notiert, bevor ich dann („Welcome to Iran!“) per Handschlag im Land begrüßt wurde – auch den Handschlag gab es nur für mich.

Im Jahr 1379 des islamischen Kalenders angekommen warteten vor dem Grenzzaun dann die ersten iranischen Eindrücke auf uns. Diese Eindrücke hatten entweder ein Geldbündel oder einen Taxischlüssel in der Hand und haben mich so penetrant begrapscht (auch wieder nur mich), dass sie von mir erst recht nichts gekriegt haben. Wir hatten ja weder aserbaidschanisches noch iranisches Geld, sodass sie uns eh nicht weiterhelfen konnten. Zu diesem Zeitpunkt hatten wir noch gehofft, dass uns ein Geldautomat weiterhelfen würde. Viele Schweißtropfen und acht Geldautomaten später war klar, dass uns Geldautomaten im Iran nicht weiterhelfen. Ein erstes Indiz für die internationalen Sanktionen. Wir standen also ohne Geld und ohne die geringste Ahnung, wo der Busbahnhof ist mit unserem schweren Gepäck irgendwo in der Hitze von Astara. Bis uns ein plötzlich auftauchendes Exchange Office (zum Glück hatten wir noch Euroscheine dabei!!) und ein Taxifahrer (es waren wirklich noch 5 Kilometer bis zum Busbahnhof, die 50 Cent für die Taxifahrt haben sich also gelohnt) gerettet haben. Jetzt sitzen wir als einzige Ausländer im wenig einladenden Busbahnhof von Astara und harren der Busse, die da fahren. Welcome to Iran!

Donnerstag, 31. August 2017

Die Hauptstädte des Südkaukasus

Nun haben wir also die drei Länder des Südkaukasus – Armenien, Georgien und Aserbaidschan – und ihre Hauptstädte – Jerewan, Tbilisi und Baku – kennengelernt. Der Geograph in mir neigt dazu, die drei Städte miteinander zu vergleiche: Alle drei haben sich in den letzten Jahren stark gewandelt, alle drei sind das uneingeschränkte Zentrum ihres Landes und zugleich keinesfalls repräsentativ für den Rest des Landes. Alle drei sind von starken Disparitäten zwischen schickem Zentrum und armen Vorstädten geprägt, wobei mir die Unterschiede in Baku – wo die Innenstadt besonders konsequent herausgeputzt ist und die Vorstädte besonders unangenehm heruntergekommen sind – am krassesten erschienen. Was in Baku die Segregation zwischen arm (Vorstädte) und reich (Innenstadt), ist in Tbilisi die Segregation zwischen Touristen (Zentrum) und Einheimischen (Vorstädte). Im deutlich weniger touristischen Jerewan könnte es eine Segregation zwischen Diaspora-Armeniern (die die Innenstadt finanziert haben und nutzen) und einheimischen Armeniern (die sich nur die Vorstädte leisten können) sein. Alle drei Städte verfügen über eine U-Bahn aus sowjetischer Zeit, wobei die in Baku am besten und modernsten ausgebaut ist, während die in Jerewan mit Krediten am Leben erhalten wird. Baku liegt am Meer, Tbilisi liegt in einem Kessel, Jerewan liegt auf einem Hochplateau. Die Altstadt von Baku ist aus hellem Sandstein erbaut, die Altstadt von Jerewan aus dunklem Tuffstein, die Altstadt von Tbilisi aus Holz. Die schönste der drei Städte ist Baku, die spannendste Tbilisi und die mit Abstand sympathischste Jerewan. So zumindest mein subjektiver Eindruck. Es lohnt sich auf jeden Fall, die drei Städte zu bereisen und sich eine eigene Meinung zu bilden.

No pictures! (Baku)

Es war heute in Baku verdammt heiß. Trotzdem bin ich mit der Stadt irgendwie nicht warm geworden. Wunderschön ist die Stadt. Aber nicht unbedingt sympathisch. Die Gegensätze zwischen Innen- und Außenbezirken sind eher erschreckend als interessant: Hier zu Tode sanierte Altstadt- bzw. Altbausubstanz, dort Armut, unsanierte Plattenbauten und unangenehme Gerüche. Hier noble Restaurants mit dem höchsten Preisniveau der bisherigen Reise, dort Menschen, die in Mülltonnen nach Essbarem suchen. Die Milliardeneinnahmen aus dem Öl- und Gasexport kommen offensichtlich nicht überall an. 

Hätte ich mir nur die Alt- und Innenstadt angeschaut, dann wäre ich auch völlig erschöpft von der absurden Hitze und vollends genervt, vor allem von den penetranten Taxifahrern. Da ich aber unbedingt mit der U-Bahn (leider gibt es auch in Baku weder Straßenbahnen noch einen Buslinienplan, sodass Fortbewegung an der Oberfläche eher schwierig ist) in die Außenbezirke fahren wollte, bin ich zusätzlich um eine Anekdote reicher: Von sämtlichen U-Bahnstationen in Baku ist nur eine einzige oberirdisch, Bakmil. In sämtlichen U-Bahnstationen in Baku herrscht Fotografierverbot – was sehr schade ist, weil sowohl die sowjetische Architektur als auch die zugehörigen Züge durchaus attraktiv sind. Aber einen oberirdischen Bahnhof kann und darf man ja von außen aus einiger Entfernung fotografieren. Dachte ich. Der Polizist war anderer Meinung. Er taucht plötzlich aus dem Nichts auf, ruft und winkt mich zu ihm. Und textet mich zu. Ich verstehe kein Wort, aber die Geste, dass man hier nicht fotografieren darf, ist klar. „Do you speak English?“, frage ich, um ihm zu signalisieren, dass ich ihn nicht verstehe. – „No, because I’m Russian.“ Alles klar. Ein potenzieller U-Bahnfahrgast wird als Dolmetscher herangezogen. Es bleibt leider nicht bei der Ermahnung, ich muss die Fotos löschen. Es war ein schönes dabei… Ich frage, warum man U-Bahnhöfe eigentlich nicht fotografieren darf. „Because it’s the government.“ Alles klar. Ich stelle keine weiteren Fragen und bedanke und entschuldige mich. Der Übersetzer begleitet mich auf den Bahnsteig und fängt dort an, sich für mich zu interessieren. Ich bin Tourist? Woher? Was mach ich in dieser Gegend der Stadt, wo es hier doch überhaupt nichts Interessantes zu sehen gibt?
Ich versuche mir meinen Verdacht, dass es sich um die Befragung durch einen Zivilpolizisten handeln könnte, nicht anmerken zu lassen. Die extrem hohe Dichte an Polizei- und Sicherheitspersonal in Baku erhöht nicht mein Sicherheitsgefühl, sondern meine Paranoia. Was will diese Diktatur von mir? Ich beantworte alle Fragen, verschweige aber bei der Reiseroute den Armenien-Aufenthalt. Ich will mich nicht noch verdächtiger machen, indem ich berichte, dass ich beim verhassten Kriegsgegner war.

Allmählich entwickelt sich ein echtes Gespräch und er gibt mir auf dem Stadtplan ein paar Empfehlungen, wo es sehenswert ist. Ich bedanke mich für die tatsächlich hilfreichen Hinweise – aber werde an der nächsten Station natürlich trotzdem erstmal in die Gegenrichtung umsteigen, weil ich da noch nicht war und ich den Wunsch habe, „alles“ zu sehen und nicht nur das, was die Touristen sehen sollen. Was ich ihm so natürlich nicht sage. Wahrscheinlich ist er wirklich nur ein netter Aserbaidschaner, der mir helfen wollte, und kein Geheimdienst- oder Polizei-Spitzel. Aber man kann ja nie wissen. In den nächsten Stunden werde ich auf jeden Fall ein bisschen genauer darauf achten, was ich fotografiere und wer mich dabei beobachtet und wer mir mehrmals begegnet.













(Picasa-)Fotos von Bakmil Station findet man übrigens in Google Earth. Die Koordinaten: 40°24'50.91"N; 49°52'44.17"E.

(Gepäck) aufgeben in Baku

„Wenn auf den Schließfächern draufsteht, dass sie kaputt sind, dann sind sie kaputt.“ „Vielleicht könnt ihr das Gepäck in der Shopping Mall abgeben.“ „Nein, hier in der Shopping Mall kann man kein Gepäck lagern.“ „Ja, es gibt hier in der Nähe ein Hotel. Aber das ist außer Betrieb.“
Da rotzen sie einen nagelneuen, vor Marmor glänzenden Bahnhof in die Stadt. Aber die Toiletten sind versifft und sämtliche Schließfächer kaputt. Niemand kann oder will uns weiterhelfen, die meisten sprechen eh nur Russisch. Willkommen in Aserbaidschan.

Als wir schon Pläne schmieden, die Stadt abwechselnd zu besichtigen, während einer immer beim Gepäck bleibt, zeigt ein Securitymensch – von denen gibt es hier deutlich mehr als Fahrgäste – ein Erbarmen und winkt uns ihm nach. Wir erwarten, dass wir das Gepäck in der Polizeistation lagern dürfen. Aber nichts da, er führt uns in eine Bar. „Station Express“ heißt die gute Stube, geschmückt ist sie mit denselben japanischen Zügen, mit denen schon die Bettwäsche im Nachtzug geschmückt war. Klimatisiert ist sie leider nicht. Unser Securitymann und der Barkeeper kennen sich, hinter dem Tresen ist jede Menge Platz für unsere zwei Rücksäcke, der Barkeeper hilft beim Verstauen. Voll lieb. So schaut Gastfreundschaft aus. Arnika überreicht den beiden zum Dank ein kleines Geschenk aus der Heimat, ich überlege, aus Dankbarkeit gleich hier einen Kaffee zu bestellen. Dann wendet sich das Blatt: Der Barkepper fragt „could you pay in advance?“

A-ha, nichts das gastfreundliche Geste à la Armenien, er will Geld dafür, dass wir die Rucksäcke bis heute Abend hier lassen können. Ist ja auch ok, für ein funktionierendes Schließfach hätten wir auch etwas bezahlt. Ein U-Bahnticket kostet 0,2 Manat, die Toilette im Bahnhof kostet 0,3 Manat, da wird die Gepäckaufbewahrung wohl auch nicht so viel kosten.

Er verlangt 20 Manat! Das ist ungefähr so viel Geld, wie wir beide (!) für die Nachtzugfahrt von Baku nach Astara zahlen. Es sind zwar „nur“ umgerechnet 10 Euro, aber für aserbaidschanische Verhältnisse ist das ein halbes Vermögen. Dass sich Barkeeper und Wachmann jetzt schön teilen können… So sieht Abzocke aus. So sieht Korruption aus. Und wir können nichts anders machen, als uns dafür bedanken, sonst sehen wir unsere Rucksäcke vielleicht nie wieder. Einen schriftlichen Beleg dafür, dass wir sie in der Bar abgegeben haben, gibt es nämlich logischerweise nicht. Arschlöcher. Willkommen in Aserbaidschan…



Der schrecklichste Nachtzug der Welt (Tbilisi - Baku)

„The people in Georgia are so nice“, haben sie alle gesagt. „Georgier sind so gastfreundlich” hat es geheißen.

Es liegt wohl eine Verwechslung vor: Die, die das behauptet hatten, waren vermutlich in Atlanta, Georgia. US-Amerikaner sind ja wirklich meist sehr (gast)freundlich. In dem anderen Georgia, dem Georgien im Kaukasus, können sie nicht gewesen sein, sonst würden sie nicht so einen Unsinn behaupten. Georgier sind ruppig und unhöflich, sie fahren so Auto, dass „Harakiri“ eine harmlose Verniedlichung ist, und sie zocken dich ab, wo immer es geht. Hätten wir vorher nicht diese paradiesisch-übertriebenen Reisebeschreibungen gehört und gelesen, wir wären nicht so enttäuscht. Aber so – kann mir Georgien jetzt echt gestohlen bleiben. Man kann die schönste Landschaft der Welt haben – wenn man sie mit unfreundlichen Menschen vollpackt, fühlt sich der Gast trotzdem nicht wohl. Die fetten Omas, die mir in der U-Bahn fast die Beine abgeklemmt hätten; die Vollhonks von Marschrutka-Fahrern; die aggressiven Touren-, Taxifahrt- oder was-auch-immer-Verkäufer; so manch unfreundliche Kellnerin und bekiffter Hostel-Mitarbeiter; 100 % der Menschen in Batumi und 50 % der Menschen in Tbilisi – nein, Georgien wird uns nicht als Land der freundlichen Menschen in Erinnerung bleiben. Eher wie weiter oben beschrieben als eine Art Russland mit schöner Landschaft.

Den Vogel abgeschossen hat die furchtbare Schaffnerin in dem grauenhaften Nachtzug, auf dessen unbequemen Sitz ich gerade die langweilige Landschaft vor dem Fenster beobachte. Viel lieber würde ich noch schlafen – beim dreistündigen Grenzübergangszinnober heute Nacht ging das ja nicht –, aber die Schaffnerin hat mich bereits vor einer halben Stunde mit Verweis darauf, dass wir „in 20 Minuten“ in Baku seien, geweckt. Mein GPS-Gerät sagt mir, dass wir noch immer etwa 80 Kilometer von Baku entfernt sind. Und die Züge im Kaukasus sind nicht sonderlich schnell. Aktuell 24 km/h.



Zur Verteidigung Georgiens muss ich sagen, dass die Schreckschrauben-Schaffnerin auch Aserbaidschanerin sein könnte. Ich habe keine Ahnung, in welcher Sprache sie ständig irgendwelche Befehle erteilt, nachdem sie mich mal wieder an der Schulter gerüttelt hat. Auf jeden Fall hat sie Arnika verboten, sich auf den freien Platz mir gegenüber zu setzen und nervt den ganzen Waggon mit ihrer militanten Art. Auf dem Weg zurück von der Toilette musste ich vorhin im Gang warten, bis ein von der Schaffnerin dazu genötigter etwas träger Herr seine Bettwäsche fertig abgezogen hat. Und was macht dieses Arschviech von Schaffnerin? Scheißt mich an, dass ich gefälligst zu meiner Liege zurückgehen soll, obwohl sie ja sieht, dass der Gang vor mir nicht passierbar ist. Deutlich gereizt sagt ich zu ihr auf Deutsch „ich komm da nicht durch!“, woraufhin sie mich nachäfft und damit den alten Weibern um sie herum ein Schmunzeln entlockt. In dieses Arschgesicht müsste echt mal jemand reinschlagen.

Ich weiß gar nicht, was ich an diesem Nachtzug – 3. Klasse, also offener Liegewagen sowjetischer Bauart – am schrecklichsten finde: die Sumpfkuh von Schaffnerin; dass die Liege 20 cm zu kurz, aber gleichzeitig zu schmal ist, um ein Körperteil ausklappen zu können; dass die ganze Nacht das Licht nicht gedämmt wurde; dass die fette unfreundliche Oma die ganze Zeit gesungen/geschnarcht hat; oder doch die fehlende Kühlung auf dem georgischen Streckenabschnitt? Erst seit die aserbaidschanische Lok den Zug zieht, herrschen im Waggon erträgliche Temperaturen. Vorher hatten die Waggons im Bahnhof von Tbilisi – bei 37 Grad Außentemperatur – den ganzen Tag Zeit, sich aufzuheizen, was sie erfolgreich gemacht haben. Nach der Abfahrt keinerlei Besserung. Der Schweiß rann aus allen Poren und wer einen Luftfächer dabei hat, hatte ihn im Dauereinsatz. Die blöde Kuh von Schaffnerin zum Beispiel. Das T-Shirt, das ich gestern Abend anhatte, stinkt so sehr, wie noch nie ein T-Shirt von mir gestunken hat. Die Hose fühlt sich immer noch an, wie wenn ich reingepinkelt hätte. Was für eine grauenhafte Nachtzugfahrt. Aber hey: Sie haben uns nach Aserbaidschan einreisen lassen, obwohl wir vorher in Armenien waren – wobei sowohl die dicke Tante, die die Zolldeklarationen eingesammelt und sämtliche Rucksäcke aufgerissen hat als auch der junge Mann, der die Pässe eingesammelt hat, nicht darauf geachtet haben, dass ich was von der oberen Liege runtergereicht habe. Meinen Pass konnte Arnika nachreichen, meine Zollerklärung trage ich nach wie vor mit mir rum.

Bis sie in Baku ankommt, kann noch dauern. Wir fahren nach wie vor mit einer Geschwindigkeit von 24 km/h. Auf dem Laufband am Wagenende steht „we work to make your trip pleasant!“ Ich lach mich tot.