Dienstag, 29. August 2017

Raus aus der Backpacker-Blase (Tbilisi)

Ja, Tbilisi – oder, wie man in Deutschland noch immer sagt: Tiflis – ist schön. Aber an sollte sich mit einem Besuch beeilen. Noch gibt es authentische und urige Ecken und Häuser. Noch gibt es ganze Straßenzüge, wo sich die Häuser nach jahrzehntelangem Verfall und mehreren Erdbeben gegenseitig stützen müssen. Noch gibt es sogar ein paar Einheimische in der Innenstadt. Aber der Umbau in ein Backpacker-Paradies ist in vollem Gange.





Die Infrastruktur, die Backpacker brauchen, um glücklich zu sein, ist schon da: Hostels, die alle so verdammt individuell eingerichtet sind, dass sie am Ende doch alle irgendwie gleich und austauschbar sind; Restaurants mit „typischer Landesküche“, die man mit Visa zahlen und auf Tripadvisor bewerten kann – und die alle ein so ähnliches Angebot weit über landesüblichem Preisniveau haben, dass es sich vermutlich um ein Kartell handelt, wenn nicht gar um eine mafiöse Struktur mit Diaspora-Pate; Geldautomaten braucht es für den Backpacker natürlich auch; und Minibus-Touranbieter zu den schönsten Orten des Landes; zusätzlich noch Geschäfte, in denen man „landestypische Produkte“ probieren und kaufen kann, die es seltsamerweise außerhalb dieser Backpacker-Oasen nirgendwo sonst im Land zu kaufen gibt; am besten dann noch einen Elektro-Club, in dem man mal „so richtig billig“ (für die Einheimischen sind die Getränkepreise vermutlich unerschwinglich) abfeiern und auf dem Heimweg die letzten verbliebenen Einheimischen aus dem Schlaf grölen kann.






Backpacker sind quasi Hipster auf Reisen. Und die brauchen nun mal viel Kaffee und viel Alkohol. Und regionales Essen. Darauf müssen sich die potenziellen Reiseziele vorbereiten. Die alte Eisenschmiede muss dann eben weichen, dass das schicke Café mehr Miete zahlen kann. Und der alte Einwohner auch, wenn das Hostel mehr Flächenertrag erwirtschaftet. Der Easyjetset hat weite Teile Amsterdams und Berlins in No-Go-Areas für Einheimische verwandelt und innerhalb weniger Jahre die meisten Innenstädte Mittelosteuropas monotonisiert. Dort gibt es jetzt überall Heineken und hübsch sanierte Fassaden, aber hinterher kann man gar nicht mehr genau sagen, in welcher Stadt das oder jenes Foto jetzt eigentlich entstanden ist.

Ich hatte gehofft, im Kaukasus gehe es noch abenteuerlich(er) und authentisch(er) zu. Geht es ja auch. Aber den Umwandlungsprozess der Innenstadt von Tbilisi finde ich erschreckend. Ähnlich wie schon in Mestia wird hier historische Bausubstanz vollständig abgerissen und durch Neubauten ersetzt, die den Touristen Authentizität vorgaukeln und Souvenirs verkaufen sollen. Na klar wäre eine Sanierung der erdbebenbeschädigten Altbauten aufwändiger als ein Neubau – so könnte man aber vielleicht doch noch den erhofften Welterbe-Status erhalten statt immer weiter wertvolles Kulturerbe zu zerstören. Klar war es für die Bewohner in den Altbauten ohne Wasseranschluss nicht so angenehm zu wohnen wie in den Neubauten – aber in den schicken Neubauten wohnen halt kaum mehr Alteingesessene.







Aber wo wohnen die Alteingesessenen? Wie sieht „das echte Tbilisi“ außerhalb der englischsprachigen Backpacker-Blase aus? Das wollte ich wissen, nachdem mich das Freilichtmuseum Altstadt bei aller Schönheit doch auch ein bisschen erschreckt hat. Deswegen habe ich mich heute Nachmittag drei Stunden lang von den anderen dreien entfernt und bin mit der U-Bahn in verschiedene Stadtteile gefahren, in denen ich jeweils der einzige Tourist war. Jetzt weiß ich, dass Tbilisi eine richtige Metropole ist – mit vielen Menschen, viel Beton und leider auch viel Armut. Jetzt weiß ich, wie überteuert die Preise im Zentrum sind und wie unrealistisch die dortige Bewohner-Zusammensetzung. Das Ausbrechen aus der Blase hat gut getan. Leider verfüge ich über keinerlei Sprachkenntnisse, um mit den Menschen in den Vorstädten ins Gespräch zu kommen. Aber wenigstens weiß ich jetzt, dass es sie gibt und wie sie aussehen. Keiner von ihnen hat mich angequatscht, keiner wollte mir eine Taxifahrt, einen überteuerten Obstbecher oder ein Abendessen verkaufen. Wie wunderbar entspannend es da draußen in der realen Welt doch ist.










Am Liberty Square verlasse ich über das Rolltreppen-Katapult die U-Bahn und betrete wieder die vertraute Backpacker-Blase. Ich verwandle mich wieder in einen reisenden Hipster, besorge mir standesgemäß einen Iced Latte und schließe mich der Gruppe an. Wir nehmen an einer Free Walking Tour teil. Sprich: Globalisierte Akademiker um die 30 führen globalisierte Akademiker um die 30 durch die Stadt. Es wird dabei nicht die Stadt der Einheimischen präsentiert, sondern das, was uns Hipster-Backpacker interessiert. Offiziell eine „Free“ Tour, inoffiziell zahlt man am Ende natürlich doch etwas dafür. Anders als eine offizielle Stadtführung gehen diese Einnahmen aber an der Steuer vorbei, sodass die Einheimischen überhaupt nichts von diesen Touren haben außer, dass die Touristen ihre Städte verstopfen. In unserem Fall war es nicht mal ein Einheimischer, der die Tour geleitet und die Einnahmen erhalten hat, sondern ein Spanier. Was irgendwie konsequent ist.

Bei aller polemischen Kritik meinerseits: Die Tour war wirklich interessant, wir haben ein paar Ecken kennengelernt, die wir sonst nicht gefunden hätten. Und die Erfahrungsberichte eines Spaniers, der seit kurzem in der Stadt wohnt, sind natürlich authentischer als das auswendig gelernte Stadtmarketing eines offiziellen Stadtführers. Außerdem haben wir ein paar andere Touristen und Neu-Tbiliser kennengelernt, zum Beispiel René aus Köln, mit der wir anschließend noch gemeinsam Abendessen waren. In einem wunderbaren, ganz und gar nicht touristischen georgischen Restaurant, das man über ein paar Treppenstufen nach unten betritt. Es hat uns so gut gefallen, dass man uns zur Sperrstunde quasi raustragen musste. Zum ersten Mal in diesem Urlaub haben wir zwei Bier an einem Abend getrunken (oh mein Gott, wir werden alt!). Leider haben wir das Bier zum letzten Mal in diesem Urlaub mit Manu und Mai getrunken, ab morgen früh fahren wir getrennte Wege und werden uns vermutlich erst in ein paar Monaten in Deutschland wiedersehen.







Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen