Sonntag, 13. August 2017

Keine Spur von Orient-Express

Vor vielen Jahren hatte mein Vater einmal einen Lkw gemietet, bei dem die Drehzahlregulierung falsch eingestellt war: Die Motordrehzahl war zu niedrig, sodass jedes Mal, wenn man kurz stehengeblieben ist, der Motor ausging. An diesen Lkw erinnere ich mich selber gerade: Jedes Mal, wenn ich ruhig sitze – also ständig –, schlafe ich ein. Ich habe so viele spannende (Hör-)Bücher dabei, die Landschaft vor dem Fenster ist durchaus interessant – aber keine Chance, ich schlafe ständig ein. Mir ist klar, dass ich von den Tagen und Wochen vor Urlaubsbeginn viel Schlaf nachholen muss – aber SO viel?

Ein Kaffee würde sicher helfen – gibt es im Zug aber nicht. Und ich habe die letzten Dinar vor der Abreise aus Belgrad sinnvollerweise in Wasser investiert. Dass es an Bord des „Balkan-Express“ ja ebenfalls nicht gibt.

Der Balkan-Express folgt den Spuren des Orient-Express. Was muss das früher für ein Erlebnis gewesen sein, in den stilvollen luxuriösen Waggons des Orient-Express nach Konstantinopel zu gleiten. Heute rumpeln wir stattdessen in zwei Uralt-Waggons, aus denen man vor lauter Graffiti kaum rausfotografieren kann, mit aktuell 28 km/h über marode Gleise. Komfortabel ist es heutzutage nur noch bedingt, mit dem Zug durch den Balkan zu fahren. Aber wenn wir Komfort gesucht hätten, wären wir nach Skandinavien oder in die Schweiz gefahren. Wir haben eine spannende, abwechslungsreiche Reise gesucht. Und die haben wir gefunden.

Der Fluss ist blutrot gefärbt vom starken Regen der vergangenen Tage. Die Bäume sind gelb-rot gefärbt von der unerbittlichen Hitze in den Wochen zuvor. Die verdorrten Äcker dazwischen sind braun. Die alten Sitze, die so viel bequemer sind als die gestrigen Klappsitze, waren wohl irgendwann einmal leuchtend blau. Nach dem Fahrtrichtungs- und Lokwechsel in Nis rumpeln wir gerade durch eine enge Felsschlucht und somit den bislang schönsten Abschnitt der Reise. Die Bahnstrecke Belgrad – Sofia ist sehr viel schöner als erwartet. Meine Erwartung kommt daher, dass ich vor zwei Jahren – als es keinen durchgehenden Tagzug gab – mit dem Bus von Sofia nach Nis (und weiter nach Belgrad) gefahren bin. Diese Fahrt führte zwar über eine gute ausgebaute Autobahn, war aber saulangweilig. Wie viel spannender ist da doch die heutige Bahnfahrt, bei der man auch etwas von den durchfahrenen Orten sieht: Ziegen im Hintergarten, schlafende Hunde auf dem alten Verladegleis, salutierende Bahnhofsvorsteherinnen, alte Eisen(bahn)brücken, und jetzt also diese faszinierende Schlucht, die die Drehzahl meines Körpers hoffentlich so weit anhebt, dass ich nicht gleich wieder einschlafe.




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