Mittwoch, 30. August 2017

Heerstraße statt Nachtzug (Stepanzminda)

Abgesehen von ein paar spontanen Planänderungen in Armenien (Stichworte Kaffeefahrt) haben wir uns bislang ziemlich genau an den Reiseplan gehalten, den wir uns in den letzten Monaten zusammengebastelt hatten, auch wenn wir nur bis inklusive Türkei vorgebucht hatten. Aber jetzt bricht das Kartenhaus doch zusammen: Der Nachtzug nach Baku gestern Abend war ausgebucht. Also schaffen wir es morgen nicht nach Aserbaidschan. Also schaffen wir es übermorgen nicht in den Iran. Also schaffen wir es nicht mehr nach Isfahan. Einen durchgehenden Bus nach Baku scheint es nicht (mehr) zu geben, einen Tagzug auch nicht. Also bleibt uns nur eine Lösung: länger in Georgien bleiben. Ein zweiter Tag in Tbilisi? Bei drückenden 37°C? Oder doch die aus Zeitgründen aus dem Reiseplan gestrichene Georgische Heerstraße wieder aufgreifen und nochmal hinauf in den Großen Kaukasus?

Wir haben uns für letzteres entschieden und warten gerade in Stepanzminda – das jeder nach wie vor Kazbegi nennt – auf die Abfahrt des Marschrutkas zurück nach Tbilisi. Hoffentlich startet es bald, der Nachtzug startet nämlich um 19:30 Uhr – und für heute haben wir ein Ticket gekriegt. Und hoffentlich ist der Fahrer nicht ganz so bekloppt wie der Vollhorst von der Hinfahrt. Der ist nach mehreren Beinaheunfällen, Vollbremsungen und Streits nach 2:25 Stunden Fahrzeit für 170 Kilometer Gebirgsstrecke in Stepanzminda angekommen und hat uns dort in die Freiheit entlassen. Beine, Rücken und Genick haben ein paar Minuten gebraucht, um nach dem Ausstieg aus der Konservendose wieder zu sich zu kommen. Der obere Rand des Fensters lag deutlich unter meinem Kopf, sodass ich mich für Blicke aus dem Fenster regelrecht verbiegen musste. Und in dieser grandiosen Hochgebirgslandschaft will man natürlich ständig aus dem Fenster blicken.



Stepanzminda liegt kurz vor der russischen Grenze. Für Touristen ist der Grenzübergang tabu, für uns ist die Heerstraße eine 170 Kilometer lange Sackgasse. Eine sehr schöne, serpentinenreiche Sackgasse, an deren Ende sich ein Blick auf den dritthöchsten Berg Georgiens, den 5.033 m hohen Mt’a Mqinvartsveri, bietet, der sich heute aber leider meist hinter Wolken versteckt. Die Straße ist überraschend gut ausgebaut – wir haben noch die schlechten armenischen Straßen in den Knochen – und die Unterwegsorte – darunter der angeblich bedeutendste Skiort Georgiens – sind überraschend hässlich und ausgestorben. Obwohl die Straße relativ stark befahren und die Grenze nach Russland zumindest für Einheimische wieder offen ist, ist hier vom Bauboom, den wir in anderen Landesteilen wahrgenommen hatten, nichts zu spüren.

In Stepanzminda selbst gibt es auch keinen großen Bauboom, aber einen – Tourismus sei Dank?! – auffallend modernen Baubestand. Schön ist der Ort nicht. Wir lassen die nervenden Taxifahrer und Schlepper schnell hinter uns und bewegen uns in Richtung der markant über dem Ort gelegenen Gergetier Dreifaltigkeitskirche. Als ich 400 Höhenmeter später oben ankomme, schwitze ich. Und freue mich. Über den schönen Ausblick, über die schöne Kirche – und darüber, dass ich nicht wie die meisten anderen mit einem überteuerten Geländewagen-Taxi hochgekommen bin, sondern auf einem schönen Wanderpfad durch ein ruhiges Seitental.





Ein durch ein Deckenfenster schräg in die Kirche einfallender Sonnenstrahl erzeugt im Inneren des Gebäudes eine geradezu mystische Stimmung. Die von oben runterhängenden Kronleuchter, die mit je einer brennenden Kerze bestückt die dahinter hängenden Heiligenbilder beleuchten, erzeugen ebenfalls eine ganz besondere Stimmung. Vielleicht ist es wirklich besser, dass man hier drin keine Fotos machen darf, sonst wäre die besondere Stimmung schnell kaputtgeklickt. Aber schade ist es trotzdem, dass ich jetzt niemandem zeigen kann, wie schön es hier war.

Nach dem steilen Abstieg treffe ich Arnika im einzigen schönen Biergarten des Ortes wieder. Der Betreiber scheint echt nett zu sein. Wir bestellen, was er uns empfiehlt – und lassen uns ordentlich abzocken. Am Ende verlangt er nämlich für Suppe und Salat 35 Lari, so viel wie für das Geschlemme gestern Abend in Tbilisi. Da hat er also mal wieder zwei Dumme gefunden. Ja, Georgien ist ein sehr schönes Land. Aber ein gastfreundliches Land? Am Arsch!





Wir erinnern uns mal wieder daran, dass man im Urlaub niemals etwas bestellen sollte, dessen Preis man nicht kennt. Aber es wird die letzte Abzocke in Georgien gewesen sein – unser verbliebenes Bargeld reicht nämlich gerade so für die Rückfahrt nach Tbilisi. Die hat mittlerweile begonnen und ist zum Glück deutlich bequemer und sicherer als die Hinfahrt.


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