Donnerstag, 31. August 2017

Der schrecklichste Nachtzug der Welt (Tbilisi - Baku)

„The people in Georgia are so nice“, haben sie alle gesagt. „Georgier sind so gastfreundlich” hat es geheißen.

Es liegt wohl eine Verwechslung vor: Die, die das behauptet hatten, waren vermutlich in Atlanta, Georgia. US-Amerikaner sind ja wirklich meist sehr (gast)freundlich. In dem anderen Georgia, dem Georgien im Kaukasus, können sie nicht gewesen sein, sonst würden sie nicht so einen Unsinn behaupten. Georgier sind ruppig und unhöflich, sie fahren so Auto, dass „Harakiri“ eine harmlose Verniedlichung ist, und sie zocken dich ab, wo immer es geht. Hätten wir vorher nicht diese paradiesisch-übertriebenen Reisebeschreibungen gehört und gelesen, wir wären nicht so enttäuscht. Aber so – kann mir Georgien jetzt echt gestohlen bleiben. Man kann die schönste Landschaft der Welt haben – wenn man sie mit unfreundlichen Menschen vollpackt, fühlt sich der Gast trotzdem nicht wohl. Die fetten Omas, die mir in der U-Bahn fast die Beine abgeklemmt hätten; die Vollhonks von Marschrutka-Fahrern; die aggressiven Touren-, Taxifahrt- oder was-auch-immer-Verkäufer; so manch unfreundliche Kellnerin und bekiffter Hostel-Mitarbeiter; 100 % der Menschen in Batumi und 50 % der Menschen in Tbilisi – nein, Georgien wird uns nicht als Land der freundlichen Menschen in Erinnerung bleiben. Eher wie weiter oben beschrieben als eine Art Russland mit schöner Landschaft.

Den Vogel abgeschossen hat die furchtbare Schaffnerin in dem grauenhaften Nachtzug, auf dessen unbequemen Sitz ich gerade die langweilige Landschaft vor dem Fenster beobachte. Viel lieber würde ich noch schlafen – beim dreistündigen Grenzübergangszinnober heute Nacht ging das ja nicht –, aber die Schaffnerin hat mich bereits vor einer halben Stunde mit Verweis darauf, dass wir „in 20 Minuten“ in Baku seien, geweckt. Mein GPS-Gerät sagt mir, dass wir noch immer etwa 80 Kilometer von Baku entfernt sind. Und die Züge im Kaukasus sind nicht sonderlich schnell. Aktuell 24 km/h.



Zur Verteidigung Georgiens muss ich sagen, dass die Schreckschrauben-Schaffnerin auch Aserbaidschanerin sein könnte. Ich habe keine Ahnung, in welcher Sprache sie ständig irgendwelche Befehle erteilt, nachdem sie mich mal wieder an der Schulter gerüttelt hat. Auf jeden Fall hat sie Arnika verboten, sich auf den freien Platz mir gegenüber zu setzen und nervt den ganzen Waggon mit ihrer militanten Art. Auf dem Weg zurück von der Toilette musste ich vorhin im Gang warten, bis ein von der Schaffnerin dazu genötigter etwas träger Herr seine Bettwäsche fertig abgezogen hat. Und was macht dieses Arschviech von Schaffnerin? Scheißt mich an, dass ich gefälligst zu meiner Liege zurückgehen soll, obwohl sie ja sieht, dass der Gang vor mir nicht passierbar ist. Deutlich gereizt sagt ich zu ihr auf Deutsch „ich komm da nicht durch!“, woraufhin sie mich nachäfft und damit den alten Weibern um sie herum ein Schmunzeln entlockt. In dieses Arschgesicht müsste echt mal jemand reinschlagen.

Ich weiß gar nicht, was ich an diesem Nachtzug – 3. Klasse, also offener Liegewagen sowjetischer Bauart – am schrecklichsten finde: die Sumpfkuh von Schaffnerin; dass die Liege 20 cm zu kurz, aber gleichzeitig zu schmal ist, um ein Körperteil ausklappen zu können; dass die ganze Nacht das Licht nicht gedämmt wurde; dass die fette unfreundliche Oma die ganze Zeit gesungen/geschnarcht hat; oder doch die fehlende Kühlung auf dem georgischen Streckenabschnitt? Erst seit die aserbaidschanische Lok den Zug zieht, herrschen im Waggon erträgliche Temperaturen. Vorher hatten die Waggons im Bahnhof von Tbilisi – bei 37 Grad Außentemperatur – den ganzen Tag Zeit, sich aufzuheizen, was sie erfolgreich gemacht haben. Nach der Abfahrt keinerlei Besserung. Der Schweiß rann aus allen Poren und wer einen Luftfächer dabei hat, hatte ihn im Dauereinsatz. Die blöde Kuh von Schaffnerin zum Beispiel. Das T-Shirt, das ich gestern Abend anhatte, stinkt so sehr, wie noch nie ein T-Shirt von mir gestunken hat. Die Hose fühlt sich immer noch an, wie wenn ich reingepinkelt hätte. Was für eine grauenhafte Nachtzugfahrt. Aber hey: Sie haben uns nach Aserbaidschan einreisen lassen, obwohl wir vorher in Armenien waren – wobei sowohl die dicke Tante, die die Zolldeklarationen eingesammelt und sämtliche Rucksäcke aufgerissen hat als auch der junge Mann, der die Pässe eingesammelt hat, nicht darauf geachtet haben, dass ich was von der oberen Liege runtergereicht habe. Meinen Pass konnte Arnika nachreichen, meine Zollerklärung trage ich nach wie vor mit mir rum.

Bis sie in Baku ankommt, kann noch dauern. Wir fahren nach wie vor mit einer Geschwindigkeit von 24 km/h. Auf dem Laufband am Wagenende steht „we work to make your trip pleasant!“ Ich lach mich tot.


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