Samstag, 2. September 2017

Iranische Gastfreundschaft

Die Wallnüsse und das Hühnchen mussten mindestens acht Stunden kochen. Auch Dolmus, also süß gewürztes Hackfleisch und Reis in Weintraubenblätter eingerollt, ist sehr aufwändig. Als Beilage gab es so Kleinigkeiten wie Salate, Safranreis und Yoghurt mit Kräutern. Als Vorspeise leckeres Obst und diverse leckere Süßigkeiten. Und kaum war die Nahrungsaufnahme abgeschlossen, wurde getanzt und gesungen. Tänze aus verschiedenen Landesteilen, wobei wir jeweils mitmachen mussten. Wahnsinn, wie viel Spaß man ohne Alkohol haben kann. Wahnsinn, wie gastfreundlich die Iraner sind. Soroosh und seine Familie haben uns gestern Abend überrascht und begeistert. Er ist Arnikas Nachmieter in Passau und gerade auf Heimaturlaub im Iran. Zum Glück.

Angefangen hat alles schon bei Dunkelheit irgendwo an der dicht befahrenen Autobahn, wo der Bus in eine Haltebucht ausgeschert ist, um uns rauszulassen. Das ist hoffentlich die Stelle, die Soroosh den anderen Mitreisenden telefonisch erklärt hat? Nicht dass wir hier irgendwo vor den Toren der Megacity Teheran neben der Autobahn verenden? Es ist die richtige Stelle: Soroosh und Arnika finden sich, er begleitet uns zum Auto, wo sein Vater schon auf uns wartet und wir fahren gemeinsam in ihre Wohnung. Die ersten Eindrücke von iranischem Stadtverkehr sind – spannend.

In der Tiefgarage angekommen steigen wir aus dem Auto und in den Aufzug. Gleich werden wir eine iranische Wohnung betreten und eine iranische Familie kennenlernen. Nach allem, was man vorher über den Iran gelesen hat, bin ich natürlich ein bisschen befangen und aufgeregt: Man sollte fremden Frauen nicht in die Augen schauen, sie nicht ansprechen und ihnen schon gar nicht die Hand reichen, bevor sie das ihrerseits anbieten. 

Diese wichtigen Regeln habe ich im Hinterkopf, als sich vor mir die Wohnungstür öffnet. Dahinter stehen mehrere junge, hübsche Frauen. Allesamt ohne Kopftuch. Wenige Sekunden später schwirren mir mehrere Namen im Kopf herum und ich habe mehrere weibliche iranische Hände geschüttelt. Alles bestens. Umsonst Sorgen gemacht. Welcome to Iran.

Zumindest ein Klischee wird erfüllt: dass nämlich die Männer auf der Couch sitzen, während die Frauen in der Küche die ganze Arbeit machen müssen. Der endgültige Beweis für das rückständige Frauenbild im Islam? Naja, wie wäre es denn bei unseren Eltern zu Hause bzw. wie war es bei unseren Großeltern? Eben. Die kulturellen Unterschiede verschwimmen im Laufe des Abends, die iranische Familie könnte genauso gut eine europäische Familie sein und würde sich mit unseren Familien vermutlich prächtig verstehen. Im Familien-Weltatlas zeigen wir, wo wir herkommen und welche Route wir auf unserer Reise gewählt haben. Die Familie amüsiert sich prächtig, als ich – mit dem Finger von rechts nach links die mir unbekannten persischen Buchstaben entlangfahrend – europäische Städtenamen „vorlese“.

Die anfängliche Befürchtung, etwas Falsches zu machen oder zu sagen weicht im Laufe des Abends dem Gefühl, von dieser wunderbaren Familie bereits adoptiert worden zu sein. Ich habe schon in mehreren Reiseländern eine beschämende Gastfreundschaft – beschämend, wenn man bedenkt, wie wir in Deutschland bzw. Südtirol mit Ausländern umgehen – erlebt, einen Abend wie diesen habe ich aber noch nie erlebt. Wir sind mehr als nur beeindruckt.

Die Gastfreundschaft gipfelt darin, dass eine Tochter der Familie im Wohnzimmer auf dem Boden schlafen muss, während wir ihr Zimmer okkupieren dürfen – und darin, dass Soroosh uns samt seiner Freundin den gesamten Folgetag lang durch Teheran begleiten und darauf bestehen wird, alles für uns zu zahlen. Was uns ein sehr schlechtes Gewissen, aber einen großartigen Urlaubs-Abschlusstag bescheren wird.


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