Sonntag, 3. September 2017

Finish

War das ein intensiver letzter Urlaubstag: In Teheran dem Taxifahrer den Weg zum Flughafen zeigen; in Athen den Sonnenaufgang fotografieren; in Mailand das Triennale-Museum besichtigen; im Frecciarossa-Businessabteil bei Tempo 300 einen Prosecco trinken. Fehlt nur noch das TV-Duell Merkel gegen Schulz nach der Ankunft in Bozen.

 
 

In etwa einer Stunde wird sich am Bahnhof Bozen nach 24 Tagen der Kreis schließen. Das soll es jetzt also gewesen sein. Vor dem Fenster ziehen die vertrauten Berge des Trentino vorbei. Ich sitze im Regionalexpress von Verona nach Bozen, der 17. und letzte Zug der Reise. Die vorangegangenen Züge hatten insgesamt 263 Minuten Verspätung, im Durchschnitt also 16 Minuten. Der Zug Belgrad-Sofia mit seinen 108 Minuten Verspätung hat die Statistik natürlich deutlich beeinflusst, aber auch so war die Bahn im Durchschnitt pünktlicher als die beiden Flugzeuge heute.

Neben zahlreichen (Klein-)Bussen sind wir in den vergangenen drei Woche mit fünf Schiffen (allesamt in Istanbul), sechs Seilbahnen (in Istanbul, Ankara, Batumi, Bakuriani, Tatev und Tbilisi) und zwei Standseilbahnen (Bakuriani, Baku) gefahren. U-Bahn gefahren bin ich in Istanbul, Ankara, Jerewan, Tbilisi, Baku, Teheran und Mailand; Straßenbahn nur in Istanbul und Mailand. Ich habe in den letzten 24 Tagen (von denen es übrigens an zehn Tagen irgendwann mal geregnet hat) 21 Kaffees, 14 Tees und 11 Biere getrunken. Ich habe sechs Museen und fünf Festungsanlagen besichtigt. Mit fünf Personen haben wir Kontaktdaten ausgetauscht, drei Mal wollte man ein Foto mit uns machen.

Von den 23 Übernachtungen haben wir sieben im Hostel, vier im Hotel, fünf im Guesthouse und eine privat (in Karadsch) verbracht; vier im Zug, eine im Bus und eine am Flughafen bzw. im Flugzeug. Insgesamt haben wir – Griechenland, wo wir warum auch immer den Transitbereich verlassen mussten, mitgerechnet – 13 verschiedene Länder bereist, in denen wir mit neun unterschiedlichen Währungen zahlen und sechs verschiedene Alphabete (lateinisch, kyrillisch, georgisch, armenisch, persisch, griechisch) lesen mussten.


Soweit der zum Scheitern verurteilte Versuch, diese einmalige Reise in Statistiken auszudrücken. Eine quantitative Auswertung ist hier nicht ausreichend. Da braucht es schon auch das Tagebuch und die Fotos. Und noch viel Zeit, bis man da alles verarbeitet haben wird.

Wir haben mit dem Balkan und dem Kaukasus zwei traditionell spannende Weltregionen bereist, die heute wieder genauso von den sie umgebenden Großmächten bzw. Regionalmächten beeinflusst werden, wie das eigentlich schon immer der Fall war. Der Iran übernimmt im Kaukasus die Rolle des einstigen Persischen Reiches; die Europäische Union übernimmt auf dem Balkan die Rolle Österreich-Ungarns; Russisches Zarenreich und Osmanisches Reich, die in beiden Regionen ihren Einfluss ausüb(t)en, bilden sich gerade neu. Der Vergleich Balkan – Kaukasus reizt mich irgendwie. Da werde ich sicher noch mehr zu lesen und vielleicht auch schreiben.

In den letzten Wochen habe ich viel über die Geschichte von Osmanischem Reich, Türkei und Armenien gelesen und gelernt. Habe mich insbesondere in Georgien oft an Russland erinnert gefühlt. War begeistert von der Gastfreundschaft in der Türkei, in Armenien und vor allem im Iran. Habe lecker gegessen und teilweise nicht ganz so lecker getrunken. Habe mich von grandiosen Landschaften begeistern und von engen, rasanten Kleinbussen ärgern lassen. Vor allem habe ich aber einmal mehr zu schätzen gelernt, wie gut es uns auf unserer westeuropäischen Wohlstandsinsel doch geht. Wie schön es doch ist, offene Grenzen, einen funktionierenden Nahverkehr und saubere Draufsitz-Toiletten zu haben. Und was für ein Wunder es doch ist, dass Deutschland so ein gutes Verhältnis zum ehemaligen Kriegsgegner Frankreich und auch zu Israel hat. Das würde man der Türkei und Armenien auch gönnen. Oder Russland und Georgien. Oder Armenien und Aserbaidschan. Die Europäische Union ist schlicht und ergreifend eine beeindruckende Errungenschaft, für die wir dankbar sein sollten und die wir unbedingt erhalten und ausbauen müssen – nicht zuletzt, damit sich Regionen wie der Kaukasus ein Beispiel daran nehmen können.
Mit dieser Feststellung kann ich das Tagebuch eigentlich beenden. Oder, um es mit den Worten der Kellnerin in Mestia zu sagen: „Finish“.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen