Was anfangs anmutet wie das reinste Chaos, hat aber irgendwie System. Es wird oft – sehr oft – mit wenigen Zentimetern Abstand aneinander vorbeigefahren; Kreisverkehre werden nicht umrundet, sondern nach links angeschnitten und dann nach Möglichkeit in der Richtung durchfahren, in die man ihn später verlassen wird; hupen bedeutet „ich fahr da jetzt vorbei“ und führt zu einer sofortigen Lenkradbewegung des Vordermanns (sonst würde es unweigerlich krachen) bzw. der Vorderfrau – ja, es gibt im Iran Frauen, die Auto fahren. So wie es entgegen einer Reiseführer-Behauptung auch Händchenhalten in der Öffentlichkeit gibt. Wer ein rückständiges, islamisches Land erleben will, der muss wohl nach Saudi-Arabien reisen – genau, das Land, gegen das wir Deutsche trotz haarsträubender Menschenrechtsverletzungen keine Sanktionen verhängen, sondern dem wir munter weiter Waffen verkaufen, mit denen es seine Nachbarländer terrorisieren kann.
Stichwort Sanktionen: Sowohl der Vorortzug als auch die U-Bahn, mit der wir gefahren sind, waren chinesische Produktionen. Und schon erkennt man, warum die deutschen Wirtschaftsverbände – Menschenrechtsverletzungen hin oder her – IMMER gegen Sanktionen argumentieren: weil sie sonst ruck-zuck Märkte an die Chinesen verlieren, die ihre (billigeren) Produkte völlig schmerzfrei nach überallhin verkaufen. Warum sollte Teheran seine nächste U-Bahngeneration bei Siemens kaufen, wenn man mit den chinesischen Zügen zufrieden ist?
Ich persönlich halte zumindest „unsere“ Sanktionen gegenüber dem Iran sowieso für einen geopolitisch motivierten Unsinn, unter dem die Zivilbevölkerung unnötigerweise leiden muss.
Aber zurück von der großen Politik in den engen Vorortzug: Da kam während der Fahrt ein schräg gegenüber sitzendes Mädchen mit Maulbeeren in der Hand zu uns und hat uns diese angeboten. Es war der Beginn einer wunderbaren Reisebekanntschaft, an deren Ende es ein schönes Gruppenfoto, getauschte Handynummern, eine Postkarte aus Büdingen für das kleine Mädchen und für uns ein von ihrem Bruder entworfenes Bild des zukünftigen Animations-Filmhelden Ali gab.
Es sollte nicht die letzte nette Begegnung des Tages gewesen sein. Teheran ist voll von netten Begegnungen. Da Soroosh uns alles übersetzen konnte, hatten wir natürlich deutlich mehr davon. Da ist zum Beispiel der Sänger der Band, die während unseres Abendessens traditionelle persische Musik gespielt hat. Wir saßen beim Abendessen direkt hinter (!) der Band auf einem Teppich und es gab immer wieder Gelegenheiten für einen kurzen Smalltalk. Nachdem Soroosh dem Sänger erklärt hatte, dass Arnika und ich aus Deutschland kommen, hat dieser das Publikum um einen Applaus für uns gebeten. Nach dem Konzert kam ein Zuhörer zu uns hinter die Bühne, um seine Dankbarkeit darüber auszudrücken, dass wir aus dem Land von Bach und Mozart bis in den Iran gereist sind, um die hiesige traditionelle Musik zu hören. Erst habe ich mich etwas perplex über die Aussage gefreut, dann fiel mir doch noch ein, dass Mozart ja eigentlich Österreicher ist.
Es gäbe noch so viel mehr zu berichten über den Tag in Teheran. Über die beeindruckend alten Vasen und Statuen im Nationalmuseum; über das endlose Lichtermeer, auf das man vom sechsthöchsten Turm der Welt blickt; über den Polizisten, von dem wir dachten, dass er uns befragen oder uns aufgrund unserer großen Rucksäcke aus dem Basar schmeißen will – der uns aber einfach nur den Weg zu einer besonders schönen Moschee beschrieben und uns einen Besuch dort ans Herz gelegt hat; über die spannenden Gespräche mit Soroosh und seiner Freundin, die uns den Iran besser erklären konnten als jeder Reise- oder Kulturführer. Aber mir fallen die Augen zu, ich muss Schluss machen.
Auch wenn ich morgen früh in Athen aufwache – Teheran wird mir noch lange in Erinnerung bleiben. Was für ein schöner Tag. Danke, Soroosh!
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen